Über den (Un)sinn von Zielformu­lierungen zu Jahres­beginn

Jetzt ist sie wieder da: die Zeit der frommen Neujahrsgelöbnisse und Selbstverpflichtungen. Menschen geben Bekenntnisse ab, wieviel Gewicht sie einsparen, wie viele zusätzliche Liegestütze sie schaffen, oder welche sonstigen individuellen Ziele sie erreichen werden. Unternehmen wiederum propagieren, wie sie noch mehr Umsatz generieren, mit welch fabelhaften neuen Produkte sie die Kund:innen beglücken und welche weiteren traumhaften Erfolge sie zu erzielen gedenken.

Es war zu Beginn dieses Jahrtausends, als Al Gore die wahrscheinlich größte Niederlage seines Lebens erlitt. In den 1990er Jahren war er zweimal Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Dann, im Jahr 2000, kandidierte er gegen George W. Bush für die Präsidentschaft – und verlor. Das hätte das Ende seiner Karriere sein können. Und tatsächlich war es das Ende seines Lebens als gewählter Politiker. Es war jedoch nicht das Ende seiner beruflichen Laufbahn, wie man hätte meinen können. Er hatte immer noch etwas mit sich vor.

Dann, im Jahr 2007, wurde ihm gemeinsam mit dem Zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC) der Friedensnobelpreis verliehen für deren Bemühungen, „mehr Wissen über den vom Menschen verursachten Klimawandel aufzubauen und zu verbreiten und die Grundlagen für Maßnahmen zu schaffen, die erforderlich sind, um diesem Wandel entgegenzuwirken”.

Seine Rede anlässlich der Preisverleihung begann er mit einem Verweis auf seinen inneren Kompass: “Ich bin heute aus einem bestimmten Grund hier. Es ist ein Zweck, dem ich seit vielen Jahren zu dienen versucht habe”.

Heute, mit Mitte 70, dient er immer noch diesem Zweck. Erst kürzlich konnte man ihn auf der COP26 beobachten, der großen Klimakonferenz in Glasgow, auf der viele der führenden Politiker:innen, Wirtschaftslenker:innen und Expert:innen der Welt zusammenkamen, um den Klimawandel zu bekämpfen. Dort stellte er sein neuestes Projekt Climate Trace vor: „eine globale Koalition, die durch die unabhängige Verfolgung von Treibhausgasemissionen sinnvolle Klimaschutzmaßnahmen schneller und einfacher machen soll.” Mit Hilfe von Satellitenbildern und anderen Formen der Fernerkundung, künstlicher Intelligenz und kollektivem datenwissenschaftlichen Fachwissen werden die vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen verfolgt und transparent gemacht, sobald sie entstehen.

Wenn wir Menschen wie Al Gore in den Nachrichten verfolgen, stellt sich die Frage, was sie ihren Kindern, oder besser gesagt, ihren Enkeln erzählen, wenn sie abends nach Hause kommen. Was erzählen sie von ihren Begegnungen während des Tages, von den Hindernissen, die sie überwinden mussten, um ihre Ambition Realität werden zu lassen; von den Erfolgen, die sie vielleicht hatten; ganz allgemein von dem, was sie tun und warum sie es tun? Was erzählen Sie, liebe Leser:innen, Ihren Kindern, was Sie tun? Was teilen Sie Ihren Kindern mit, warum Sie es tun? Vermutlich sprechen Sie nicht über den Titel Ihrer spezifischen beruflichen Position, die Sie verantworten. Sondern eher über die Dinge, die Sie bewegen und gestalten.

Wir alle haben ein grundlegendes Bedürfnis, etwas Sinnvolles zu tun. Deshalb wollen Kinder Feuerwehrleute, Ärzte oder Tierärzte werden. Sie wollen etwas Gutes tun. Wir alle wollen etwas Gutes tun. Für einen höheren Zweck zu arbeiten, fühlt sich gut an und hat ein hohes soziales Ansehen.

Nicht nur in Zeiten gewaltiger Veränderungen, wie wir sie seit einiger Zeit erleben. Schon vor Covid haben wir gesehen, dass sich die Arbeitswelt rasant verändert. Digitalisierung, Individualisierung, veränderte kulturelle Normen. Die Menschen fordern mehr Freiheit, mehr Wahlmöglichkeiten, wo sie arbeiten, wie sie arbeiten, wann sie arbeiten. Man könnte sich also fragen, warum die Menschen bei all der Nachfrage nach Autonomie überhaupt noch in Organisationen arbeiten? Warum werden sie nicht alle Solo-Unternehmer:innen, wo sie all diese Freiheiten haben könnten?

Studien haben gezeigt, dass der Unternehmenszweck ein zentraler Motivator für Menschen ist, sich Organisationen anzuschließen. Wenn sie keinen Sinn in ihrer Arbeit sehen, werden sie emotional von ihrer Arbeit abgekoppelt und unglücklich. Ein gemeinsames Ziel zu haben, gibt Menschen die Kraft, mehr zu erreichen, als sie allein erreichen können. Und es nimmt auch den Druck von ihnen, es allein zu tun, ganz allein.
Wenn sie gemeinsam an einer Sache arbeiten, inspirieren sie sich gegenseitig zu Lösungen, von denen sie nicht einmal wussten, dass es sie gibt.
Gemeinsam können sie Dinge erreichen, die größer sind als die Summe dessen, was sie einzeln hätten erreichen können.

Es gibt einige Dinge, die alle erfolgreichen Unternehmen gemeinsam haben. Sie haben vielleicht unterschiedliche Strategien und Positionen auf dem Markt, aber einige Merkmale sind für alle erfolgreichen Unternehmen gleich, wie es Collins und Porras bereits in den 1990er Jahren erforscht hatten: Es ist das Yin und Yang, das aus dem Bewahren des Kerns und dem gleichzeitigen Stimulieren des Fortschritts besteht. Ein starker Kern, zu dem der Unternehmenszweck, d.h. der Purpose gehört, und die Fähigkeit, sich fortlaufend an veränderte Umstände anzupassen.

Natürlich passiert das nicht einfach so. Vielmehr erfordert es Disziplin und Konzentration. Wir müssen hart daran arbeiten, ein gemeinsames Verständnis zu finden, d. h. über die individuellen Ambitionen der Einzelnen und deren Beitrag für das übergeordnete Ganze zu sprechen. Nicht nur ab und an, sondern kontinuierlich und immer wieder.

Bei HRpepper nutzen wir dafür den von uns entwickelten Ansatz des Human Business Design als Rahmen dafür, unser gemeinsames Verständnis davon zu schärfen, was wir als Team erreichen wollen. Human Business Design (HBD) ist eine Architektur, mit der Entscheider:innen ihr Unternehmen begreifen und entwickeln können. Der Ansatz bietet Orientierung, wie Organisation und Mensch sich in einer extrem transformativen Welt progressiv bewegen können – wie beide den Sinn ihres Fortschreitens und ihrer Werteorientierung besser verstehen. Human Business Design ist somit eine zukunftsorientierte Denkungsart, mit der Unternehmen Transformation besser bewältigen können. Mit dem Menschen im Mittelpunkt.

Das Ponton-Prinzip ist der wichtigste Teil des Human Business Design. Pontons sind Reflexions- und Beratungsflächen für die unternehmerische und individuelle Selbstüberprüfung. Es gibt sieben Stück davon. Eines dieser Pontons thematisiert Orientierung & Steuerung, in dem es drei Gestaltungsebenen aufspannt: »Sinn und Purpose«, »Strategie« sowie »Performance Management«. Im Kern geht es darum, welche Form der Orientierung wir benötigen, um uns gut (selbst) zu steuern, beziehungsweise wie wir uns jene verschaffen. Orientierung meint deshalb zweierlei: einmal das Verhältnis der einzelnen Mitarbeitenden zu den vielen Kolleg:innen und Co-Akteur:innen – also das Wechselspiel aus Vorgaben und (Selbst-)Steuerung. Und zweitens die Orientierung von Unternehmen, was Zukunft ist beziehungsweise welche Zukunftsbilder für das eigene Human Business Design herangezogen werden können – also die Integration von Begehrtem in Bewährtes.

Bei HRpepper bespielen wir diese drei Gestaltungsebenen von Orientierung & Steuerung wie folgt:

  • Sinn und Purpose dient uns als Fundament beziehungsweise Rahmen. Auf dieser Makroebene haben wir uns bei HRpepper darauf verständigt, dass wir mit unserem Handeln einen Beitrag dazu leisten wollen, die Arbeitswelt(en) nachhaltiger zu gestalten. Das ist das, was uns antreibt.
  • Wir nutzen ein sog. Strategiehaus als Mittler zwischen Zukunft und Gegenwart, um unseren Sinn-Anspruch jeden Tag ein bisschen weiter zu erfüllen. Bei HRpepper haben wir auf dieser Mesoebene aus der Perspektive unserer diversen Stakeholder Zufriedenheitserwartungen formuliert und woran wir deren Erfüllung erkennen können. Bspw. dass wir für unsere Kund:innen als wertschaffender Geschäftspartner agieren (meßbar anhand eines Kundenzufriedenheitsindexes) oder dass wir für unsere Mitarbeiter:innen eine attraktive Arbeitgeberin darstellen (bewertbar durch die jährliche Great Place to Work Umfrage). Auf dieser Ebene haben wir auch monetäre Erwartungen an uns selbst formuliert (bspw. dass wir ein Drittel unseres Umsatzes mit Hilfe unserer Community erwirtschaften wollen, weil wir einen großen Wert in einem stabilen Ökosystem sehen).
  • Performance Management verstehen wir als System bzw. Motor für eine lernende Organisation. Auf dieser Mikroebene konkretisiert sich Performance Management bei HRpepper an der Nahtstelle von Strategiemanagement und Talentmanagement. Wir betrachten es zuallererst als eine systemische Gestaltungs- und Führungsaufgabe, die wir als systematisches Verfahren leben — sei es in bilateralen Entwicklungsdialogen oder in teamorientierten Reviews und Retros in Projektgruppen bzw. in den einzelnen Teams unserer Kreisorganisation. Ziel ist die fortwährende organisationale wie individuelle Potenzialentfaltung und Leistungsrealisierung. Für uns stellt es tatsächlich einen Kernprozess dar, weil es Strategizing mit Execution und Learning als einen Kreislauf integriert und damit einen zentralen Wertschöpfungsmechanismus abbildet. Dabei richten wir den Blick klar nach vorne und betrachten rückwärtsgewandte Exkulpierungsriten als Zeitverschwendung.

Gleich ob Purpose, Strategie oder Performance Management—zentral ist für uns die Frage, wie wir mit anderen Menschen und der Umwelt an sich in Resonanz treten können, um uns gegenseitig in produktiver Bewegung zu halten; um gemeinsam gesellschaftlich relevante Probleme zu lösen. Denn das ist für uns das Selbstverständnis einer Unternehmensberatung. Das ist unser Anspruch an uns selbst. Nicht nur zu Beginn eines Jahres. Sondern 365 Tage im Jahr.

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