kampfkunst

Agile Transformationen scheitern nicht selten in der Praxis. Ein Ansatz aus Fernost zeigt mögliche Gründe sowie eine Methodik für ein nachhaltiges, menschenzentriertes Vorgehen.

Von Sherif Abed

Unternehmen sind aktuell herausgefordert: steigender Kosten- und Wettbewerbsdruck, demografischer Wandel und natürlich die Corona-Pandemie. Zusätzlich sehen wir eine rapide Zunahme der Veränderungsgeschwindigkeit und -tiefe. Das führt an vielen Stellen in Betrieben zu einer Überforderung und Unzufriedenheit der Beteiligten. Wie also reagieren auf solche Herausforderungen und wie agieren in unsicheren Zeiten und einem komplexen Umfeld? Um eine Antwort darauf zu geben, machen sich seit fünf bis zehn Jahren unzählige Unternehmen aller Größen und Branchen auf den Weg zur agilen Organisation zwecks interner Transformation.

Doch nur wenige erreichen das Ziel. Heute besteht in vielen Fällen hohe Unzufriedenheit mit der Agilität, andere sind schon unterwegs zu „beyond agile“ und versuchen sich am nächsten Trend. Es gibt inzwischen diverse Analysen, woran es liegt.

Aus eigener Erfahrung als Consultant bei HRpepper kann ich sagen: In der Zusammenarbeit mit Organisationen kommen häufig Fragen, wie streng diese mit „Scrum-Regeln und Co.“ umgehen sollen und ob sich allgemeine Regeln nicht den spezifischen Rahmenbedingungen im eigenen Unternehmen anpassen lassen. Dies betrifft u.a. die Definition von Rollen und Verantwortlichkeiten, die Verteilung von Ressourcen (Teammitglieder zeitgleich in mehreren Teams und Projekten) bzw. die einzelne Adaption ausgewählter agiler Methoden. Ist es ratsam, hier flexibel zu agieren oder eher nicht, mit Blick auf die angestrebte nachhaltige Transition?

3-Stufiges Grundprinzip als Rahmenwerk der Veränderung

Die Arbeitsgruppe „DACH 30“, also Vertreter von großen Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, formulierte aufbauend auf Ihrer Bestandsaufnahme eine interessante Methodik für das Vorgehen in agilen Transformationen sowie Mindeststandards für Agilität.

Eine Empfehlung für das Vorgehen ist ein Grundprinzip der japanischen Kampfkunst. Diese kennt drei Stufen des Lernens, die ein Schüler von den Anfängen bis zur Meisterschaft seiner Kunst durchläuft. „Shu Ha Ri“ bezeichnet diese Entwicklung und meint: Erst lernen, dann entfernen, dann weiterentwickeln.

Wie verlaufen die Phasen der Veränderung?

„Shu“, die erste Stufe des Lernens, bedeutet etwa „Nachahmen, Erhalten“. Menschen lernen, indem sie nachahmen und den gegebenen Regeln konsequent und ohne Abweichung folgen. Die Grundidee ist, dass sie nur über das strikte Einhalten der Regeln und Prozesse lernen, die „Kunst“ richtig zu beherrschen, ohne diese bei einer späteren Adaption zu verlieren.

Bei „Ha“ als zweiter Stufe (was so viel heißt wie Aufbrechen, Entfernen) geht es um die Variation und Anpassung des Gelernten an die eigenen Bedürfnisse. Hierbei können Dinge funktionieren oder auch nicht. Es ist Teil des Entwicklungsprozesses.

Bei „Ri“ als dritter und höchster Stufe geht es um das „Verlassen, Trennen“. Damit gemeint ist, die festen Strukturen zu verlassen, um, von eigenen Impulsen gesteuert, eigene Wege zu gehen. Voraussetzung hierfür ist ein tiefes Verständnis für die Grundregeln, Logiken und den Spirit der Methodik der Stufe 1 sowie die Erfahrungen des Ausprobierens der Stufe 2.

Hinweise für die Umsetzung in der Praxis

In vielen Veränderungsprozessen ist der Drang groß, Rahmenwerke sofort an eigene Gegebenheiten zu adaptieren. „Doch wer die erste Stufe nicht meistert, wird nie den Weg zum Meister finden“ und genau an dieser ersten Stufe befindet sich der kritische Pfad. Häufig werden agile Projekte in der Praxis als gescheitert erklärt, weil nach kurzer Zeit noch kein übermäßiger Output vorhanden ist und der Fehler zum Teil bei der Methodik gesucht wird.

Wieso ist es so, dass zwei Unternehmen scheinbar „genau das Gleiche tun“ und trotzdem zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen?

Das „Shu Ha Ri“-Prinzip bietet einen interessanten Erklärungs- und Lernentwicklungsansatz: Gerade in schnelllebigen Zeiten ist es wichtig, sich und allen anderen die Zeit zu geben, das Neue, zu Lernende zunächst „richtig zu tun“ und in den Köpfen, Herzen und Praktiken der Mitarbeitenden tief zu verankern. Das ist die Basis, bevor ein „Ausbrechen aus den Mustern“ im Sinne einer erfolgreichen Adaption erfolgen kann, um langfristig erfolgreicher und nachhaltiger zu agieren.

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