Das richtige HR-Tool gibt es (nicht)

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Steigende Preise, demografischer Wandel und eklatanter Arbeitskräftemängel: Zurzeit erleben alle Unternehmen ähnliche Herausforderungen. Dadurch steigen auch die Anforderungen an die HR-Funktion. Kein Wunder, dass Firmen seit Jahren versuchen, transaktionale HR-Aufgaben zu skalieren und transformationale Tätigkeiten weiter auszubauen. Doch warum scheitern so viele Unternehmen daran, HR-Tools innerhalb von Ziel-, Termin- und Budgetvorgaben einzuführen?
Von Amelie Stegmüller

Weiterhin hoher Bedarf an Digitalisierungsvorhaben

Laut einer Studie des IT-Beratungsunternehmens ISG (2021) möchten 57 % der befragten Unternehmen bis 2023 eine SaaS- oder hybride Lösung im HR-Bereich einführen und nutzen. Mit Vorprojekten zur Konsolidierung von Anforderungen, aufwendigen Vendor-Selection-Prozessen sowie Implementierungs- und Lizenzkosten geben viele Unternehmen sechs- bis siebenstellige Summen für HR-Software aus. Dass eine ganzheitliche Change-Begleitung dabei ein erfolgskritischer Faktor ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Umso ärgerlicher, wenn die Einführung Jahre dauert und am Ende doch nicht die erhofften Ergebnisse erzielt.

Wie wichtig ist das „richtige“ Tool?

Mögliche Erfolgsfaktoren der Tool-Einführung zeigt eine Metastudie von Bondarouk, Parry & Furtmueller (2017) auf. Ihre Analyse von insgesamt 69 Studien rund um die Einführung von HR-Software ergab, dass menschliche und organisationale Faktoren für den Erfolg der Software ähnlich bedeutsam sind, wie die Auswahl eines passenden Tools. Technologie sei nicht die primäre Determinante für den Projekterfolg (Zhou, Cheng, Zou & Liu, 2022; Tithe and Sandhu, 2014).

Zu den menschlichen Einflussfaktoren gehören, so Bondarouk, Parry & Furtmueller (2017), neben der Unterstützung durch das Top-Management und der Kommunikation zum Tool auch die IT-Fähigkeiten der HR-Mitarbeiter*innen. Erfolgskritische organisationale Rahmenbedingungen seien dagegen neben Planungs- und Projektmanagementroutinen auch die operative Klarheit im Umgang mit IT-Sicherheit und Datenschutz. Doch auch die Verankerung von systemischem Denken in der Organisation, die Nutzung agiler Methoden sowie die ausdefinierte Governance entscheiden, ob die Tool-Einführung die gewünschten Ergebnisse erzielt (Thite und Sandhu, 2014).

Ist es also egal, welche HR-Software genutzt wird, solange sie den Zweck erfüllt und die „weichen“ Rahmenbedingungen stimmen? Jein. Denn obwohl nicht allein erfolgsentscheidend, stehen Benutzungsfreundlichkeit, geringe Komplexität der Technologie und Kompatibilität mit anderen Tools in gleichem Maße in positivem Zusammenhang mit den erwarteten Vorteilen durch die Systemeinführung wie die anderen Faktoren auch (Bandarouk, Perry & Furtmueller, 2017).

Systemeinführung in der HR-Praxis

Herauszufinden, welche konkreten Rahmenbedingungen in prozessualen, organisationalen oder kulturellen Kontexten im Rahmen einer Systemeinführung an die Oberfläche gespült werden, ist einer der kritischen Schritte in der Vorbereitung eines Implementierungsprojekts.

Häufige Fallstricke sind dabei unter anderem:

• Die Unklarheit über Verantwortlichkeiten für einzelne Bereiche: Alle Beteiligten wollen bei der Prozessdigitalisierung mitreden und man stellt fest: Niemand weiß, wer z. B. für den Recruiting-Prozess Ende-zu-Ende verantwortlich ist. Wir empfehlen vor Beginn einer Tool-Einführung, das gesamte Portfolio von HR-Produkten – und zwar auch derer, die nicht in der eigentlichen HR-Abteilung angesiedelt sind – transparent zu machen und dabei vor allem zu erarbeiten, welche Einheit für die Steuerung und Weiterentwicklung dieses Produktes verantwortlich ist.

• Die Unklarheit über Rollen und Verantwortlichkeiten: Weil plötzlich standardisiert werden soll, was über viele Jahrzehnte individuell ausgehandelt wurde, stolpern Firmen erst mitten in der Software-Entwicklung über die Frage, bei welcher Führungsebene welche Entscheidung eigentlich angesiedelt ist. Abhilfe schaffen klar definierte Verantwortlichkeiten über das gesamte Unternehmen hinweg. Vor allem das Einvernehmen bis hin zur obersten Führungsebene, dass diese Standards flächendeckend angewendet werden, fehlt häufig. Doch obwohl ein technisches Customizing häufig möglich ist, erhöht es maßgeblich sowohl Komplexität als auch Kosten der Einführung.

Insgesamt ist über Unternehmen hinweg zu beobachten, wie ähnlich die Herausforderungen rund um HR-Softwareeinführungen tatsächlich sind. Von der Ausgestaltung von Schnittstellen, der Einbindung von Betriebs- und Personalräten, der Kommunikation und Befähigung bis hin zur kontinuierlichen Weiterentwicklung des Systems nach dem Go-live – Organisationen können viel voneinander lernen. Die wichtigste Empfehlung an dieser Stelle ist daher: Tauschen Sie sich mit anderen Unternehmen aus, wann immer und so transparent es geht.

Quellen