In unserer beschleunigten und beschleunigenden Arbeitswelt Schritt halten zu müssen – und auch zu wollen – ist ein Gefühl, das jeder kennt. Man verspürt Zeitdruck. In der Öffentlichkeit ist der Begriff eher negativ besetzt und wird mit Stress gleichgesetzt. Doch es gibt ebenso positive Effekte von Zeitdruck auf das Arbeitsengagement, das Wohlbefinden und die Performance.
Das Arbeitspensum und der Zeitdruck scheinen zuzunehmen (Ulferts et al., 2013). Laut des Stressreports Deutschland berichten mehr als 52 Prozent der interviewten Beschäftigten von einem hohen Arbeitspensum, das sich in Termin- und Leistungsdruck ausdrückt (Lohmann-Haislah, 2012).
Im allgemeinen Sprachgebrauch scheint Zeitdruck oft mit Stress gleichgesetzt zu werden und erfährt eine eher negative Konnotation. Gleichzeitig hat sich sicherlich jeder bereits an durch Zeitdruck entstandener Produktivität oder Konzentration erfreut. Aber wie kommt es dazu? Was ist Zeitdruck überhaupt und was macht er mit uns? Eine Definition ist einfach und einleuchtend zugleich: Zeitdruck entsteht, wenn Individuen eine Diskrepanz zwischen dem Arbeitsaufwand und den zur Verfügung stehenden zeitlichen Ressourcen zur Erfüllung der Arbeitsaufgaben wahrnehmen (Höge, 2009).
Und tatsächlich ist Zeitdruck ein zentrales Konstrukt in vielen Modellen, die sich mit berufsbedingtem Stress beschäftigen (Siegrist, 2002; Sonnentag & Frese, 2003; Theorell & Karasek, 1996) sowie einer der am häufigsten untersuchten Stressoren in der beruflichen Gesundheitspsychologie (Widmer et al., 2012). So gilt Zeitdruck als ein Stressor, der zu beeinträchtigtem Wohlbefinden, emotionaler Erschöpfung sowie schlechtem Gemütszustand führen kann (Teuchmann et al., 1999). Zeitdruck wird von Individuen oft als schädliche Arbeitsanforderung empfunden, da sie zusätzliche mentale und/oder körperliche Ressourcen verbraucht (Zapf, 1993).
Jüngere Forschung widmet sich aber über diese negativen Auswirkungen von Zeitdruck hinaus ebenso möglichen positiven Effekten sowie Variablen, die die beschriebenen negativen Zusammenhänge beeinflussen.
Leinhos et al. (2018) bestätigen in ihrer Studie, dass Individuen, die sich durch Zeit unter Druck gesetzt fühlen, von einer höheren emotionalen Erschöpfung berichten. Sie können jedoch auch zeigen, dass sich Zeitsteuerung – der Freiheitsgrad, mit dem ein Mitarbeiter entscheiden kann, zu welchem Zeitpunkt, für wie lange und wie schnell er an einer bestimmten Aufgabe arbeiten möchte (Semmer et al., 1999; Zapf, 1993) – auf das beschriebene Verhältnis zwischen Zeitdruck und emotionaler Erschöpfung auswirkt. Je höher das Maß, zu dem das Individuum über seine Zeitsteuerung verfügt, desto schwächer bzw. weniger positiv ist die Beziehung zwischen Zeitdruck und emotionaler Erschöpfung. Bei stark ausgeprägter Zeitsteuerung kann sich Zeitdruck darüber hinaus positiv auf das Arbeitsengagement von Individuen auswirken (Leinhos et al., 2018).
Diesen Zusammenhang finden auch Kühnel et al. (2012): Sie definieren für ihre Studie Arbeitsengagement als ein affektiv-motivationales Konstrukt, das sich durch Elan, Durchhaltevermögen, Hingabe, Konzentration und Fokus ausdrückt. Arbeitsengagement gilt zudem als vorübergehender Arbeitseinsatz, der innerhalb eines Individuums täglich schwanken kann. Die Möglichkeit für Mitarbeiter, ihren Job sowie ihre Zeit eigenverantwortlich zu steuern (Job control), bestimmt, ob sich Zeitdruck positiv (bei hoher Job control) oder negativ (bei geringer Job control) auf das Arbeitsengagement auswirkt.
Basierend auf der Activation theory konkretisieren Schmitt et al. (2015) diesen Zusammenhang zwischen Zeitdruck und Arbeitsengagement insofern, als dass sie zeigen können, dass Mitarbeiter lediglich bei einem bestimmten, moderaten Zeitdruck-Level ein sehr hohes Arbeitsengagement aufweisen, während sich bei niedrigen und hohen Zeitdruck-Leveln nur ein geringes Arbeitsengagement erkennen lässt.
Hinsichtlich des Wohlbefindens von Mitarbeitern unter Zeitdruck können Widmer et al. (2012) sowohl positive als auch negative Auswirkungen nachweisen: Zeitdruck kann zwar zu einer hohen Belastung führen, jedoch ist ebenso ein positiver Effekt auf den organisationsbezogenen Selbstwert von Individuen möglich. Dies bedeutet, dass Stressoren, wie in diesem Fall Zeitdruck, die Möglichkeit hervorrufen, zum Beispiel die eigene Kompetenz und Motivation für zum Organisationserfolg beitragende Aktivitäten zu zeigen, was sich nachweislich positiv auf das allgemeine Wohlbefinden von Individuen auswirkt.
Nicht zuletzt wird Zeitdruck als Stressor präsentiert, der positive Effekte auf die Performance haben kann (Ohly & Fritz, 2009). In diesem Fall kann Zeitdruck zu erhöhter Kreativität sowie zu proaktivem Verhalten – erhöhte Initiative bzw. veränderungs- und zukunftsorientiertes Verhalten – führen. Proaktives Verhalten funktioniert als Mechanismus, der den hohen Zeitdruck in Kreativität übersetzt, indem Individuen unter anderem mehr Arbeitseinsatz an den Tag legen, mögliche Probleme antizipieren und Problemlösungen generieren (Ohly & Fritz, 2009).
Natürlich bedeuten diese möglichen positiven Effekte von Zeitdruck auf das Arbeitsengagement, das Wohlbefinden und die Performance nicht, dass Zeitdruck per se vorteilhaft ist. Gleichermaßen fatal wäre es, Zeitdruck einsetzen zu wollen, um eine bessere Performance oder erhöhtes Arbeitsengagement zu erzielen. Hierzu sind die bestätigten beeinträchtigenden Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden zu schwerwiegend.
Jedoch gibt es zahlreiche Jobs und Situationen in unserer Arbeitswelt, in denen Zeitdruck nicht oder nur schwierig zu reduzieren ist. Um hier eine durch Zeitdruck hervorgerufene emotionale Erschöpfung zu umgehen oder sogar die Chance auf erhöhtes Arbeitsengagement oder eine bessere Performance zu nutzen, kann es helfen, sich mit den Freiheitsgeraden, die den Mitarbeitern gewährt werden, auseinanderzusetzen und diese bewusst zu nutzen. Möglicherweise empfinden Mitarbeiter Zeitdruck als weniger beeinträchtigend, wenn herausfordernde terminliche Vorgaben mit einer möglichst hohen Steuerungskraft über die eigenen zeitlichen Ressourcen einhergehen. So kann es sinnvoll sein, in Zeiten hohen terminlichen Drucks – beispielsweise in bestimmten Projektphasen – Mitarbeiter mit einer erhöhten Entscheidungsautorität auszustatten.
Die Ergebnisse laden jeden Einzelnen dazu ein, mal wieder zu beobachten, welche Effekte Zeitdruck bei uns hervorruft. Dann liegt es an uns, die Rahmenbedingungen – jeweils im eigenen Einflussbereich – so zu gestalten, dass uns Zeitdruck nicht überfordert, sondern fordert und anspornt.
Literatur
Höge, T. (2009). When work strain transcends psychological boundaries: An inquiry into the relationship between time pressure, irritation, work-family conflict and psychosomatic complaints. Stress and Health, 25, 41–51.
Kühnel, J., Sonnentag, S., & Bledow, R. (2012). Resources and time pressure as day-level antecedents of work engagement. Journal of Occupational and Organizational Psychology, 85, 181 – 198.
Leinhos, J., Rigotti, T. & Baethge, A. (2018). Time and Performance Pressure. Just two Sides of the Same Coin?. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 62(1), 1-13.
Lohmann-Haislah, A. (2012). Stressreport Deutschland 2012: Psychische Anforderungen, Ressourcen und Befinden. Dortmund, Germany: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA).
Ohly, S., & Fritz, C. (2010). Work characteristics, challenge appraisal, creativity, and proactive behavior: A multi-level study. Journal of Organizational Behavior, 31, 543–565.
Schmitt, A., Ohly, S., & Kleespies, N. (2015). Time pressure promotes work engagement. Journal of Personnel Psychology, 14, 28 – 36.
Semmer, N. K., Zapf, D., & Dunckel, H. (1999). Instrument zur stressbezogenen Tätigkeitsanalyse. In: H. Dunckel (Ed.), Handbuch psychologischer Arbeitsanalyseverfahren (pp. 179 – 204). Zurich, Switzerland: vdf Hochschulverlag.
Siegrist, J. (2002). Effort-reward imbalance at work and health. In: P. L. Perrewé, & D. C. Ganster (Eds.), Research in occupational stress and well-being: Historical and current perspectives on stress and health (pp. 261–291). Bingley, UK: Emerald.
Sonnentag, S., & Frese, M. (2003). Stress in organizations. In: W. C. Borman, D. R. Ilgen, & R. J. Klimoski (Eds.), Handbook of psychology (pp. 453–491). Hoboken, NJ: Wiley.
Teuchmann, K., Totterdell, P., & Parker, S. K. (1999). Rushed, unhappy, and drained: An experience sampling study of relations between time pressure, perceived control, mood, and emotional exhaustion in a group of accountants. Journal of Occupational Health Psychology, 4, 37–54.
Theorell, T., & Karasek, R. A. (1996). Current issues relating to psychosocial job strain and cardiovascular disease research. Journal of Occupational Health Psychology, 1, 9–26.
Ulferts, H., Korunka, C., & Kubicek, B. (2013). Acceleration in working life: An empirical test of a sociological framework. Time & Society, 22, 161–185.
Widmer, P. S., Semmer, N. K., Kälin, W., Jacobshagen, N., & Meier, L. L. (2012). The ambivalence of challenge stressors: Time pressure associated with both negative and positive well-being. Journal of Vocational Behavior, 80, 422 – 433.
Zapf, D. (1993). Stress-oriented analysis of computerized office work. European Work and Organizational Psychologist, 3, 85 – 100.