Warum Politik (nicht) an den Arbeitsplatz gehört

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Weltweit lässt sich ein Erstarken nationalistischer Ideologien beobachten. Populistische und rechtsextreme Weltanschauungen werden auf der politischen und gesellschaftlichen Bühne sichtbar und mitunter stark aufgeheizt diskutiert. Doch während einige die Integration politischer Diskussionen am Arbeitsplatz begrüßen, gibt es auch Stimmen, die dies skeptisch sehen. Sollten Unternehmen wirklich politische Verantwortung übernehmen oder sollten sie sich auf ihre wirtschaftlichen Kernziele konzentrieren?

Von Rebecca Jennerjahn

Dieser Beitrag untersucht die Rolle von Politik am Arbeitsplatz und argumentiert dafür, dass Offenheit, Toleranz und Kompromissfähigkeit entscheidend für den Unternehmenserfolg sind. Eine klare Positionierung sowie die Auseinandersetzung mit sensiblen, politisch aufgeladenen Themen scheinen unabdingbar – schließlich bestimmen diese Themen bereits die Gedanken und Alltagsgespräche der meisten Menschen und damit auch Mitarbeitenden. Es stellt sich also weniger die Frage, ob Politik am Arbeitsplatz eine Rolle einnehmen sollte, sondern vielmehr, wie Unternehmen es schaffen, die nötigen Voraussetzungen (z. B. Fähigkeiten, organisationale Strukturen und Prozesse) zu schaffen, um einen effektiven Dialog zu fördern (Winters, 2017).

Unternehmen als politische Akteure

Unternehmen sind mehr als nur wirtschaftliche Organisationen – sie sind integrale Bestandteile unserer Gesellschaft. Als Arbeitgebende, Steuerzahlende, Lobbyisten und Innovatoren sind sie gesellschaftspolitisch eng mit dem Gemeinwohl verknüpft und können letztlich als politische Akteure bezeichnet werden (Bohnen, 2020). Als Wirtschaftsakteur handeln Unternehmen nicht im „[…] luftleeren Raum, sondern in einem sozialen und politischen Kontext, den [sie] de facto mitgestalten.“ (Bohnen & Hennies, 2022). Unternehmen besitzen daher nicht nur demokratische Rechte, sondern auch zugleich die Pflicht bzw. die Verantwortung, die demokratischen Werte zu erhalten und zu stärken.

Vor dem Hintergrund des zunehmenden Einflusses von antidemokratischen Strömungen gewinnt die Frage nach dem politischen Engagement von Unternehmen zunehmend an Bedeutung. Wie viel Politik sollte am Arbeitsplatz erlaubt sein und welche Risiken sowie Chancen birgt der politische Diskurs am Arbeitsplatz? Antworten auf diese Frage liefert unter anderem das von Dr. Johannes Bohnen maßgeblich geprägte Konzept Corporate Political Responsibility (CPR). Es betont die Bedeutung des politischen Engagements von Unternehmen für das Gemeinwohl und die Verantwortung von Unternehmen, die demokratisch verfasste Gesellschaft, die ihr Wirken ermöglicht, zu erhalten und zu stärken. Da die Stabilität von Demokratien laut Bohnen (2020) in der Freiheit liegt, offene Debatten über gesellschaftsrelevante Entscheidungen zu führen, welche die Vielfalt an Meinungen im öffentlichen Raum sichtbar und damit auch Innovationen möglich machen, ist es nur logisch und geboten, dass auch Unternehmen eine lebendige Debattenkultur pflegen.

 

Ein verbreitetes Argument gegen eine bewusste politische Stellungnahme oder Positionierung zu politischen Grundhaltungen lautet, dass die politische Einflussnahme bzw. die parteipolitische Arbeit von den organisationalen Kernkompetenzen ablenkt und das Hauptziel des Unternehmens – einen Wert für seine Shareholder zu erwirtschaften – konterkariert. Dieses Argument setzt das klare politische Bekenntnis zu demokratischen Grundhaltungen jedoch fälschlicherweise mit politischem Aktivismus und Parteipolitik gleich. Das legitime Ziel eines jeden Unternehmens, das wirtschaftliche Überleben und den eigenen Wohlstand zu sichern, soll an dieser Stelle keinem Unternehmen abgesprochen werden. Doch widerspricht die politische Verantwortungsübernahme von Unternehmen keineswegs einer Steigerung des Unternehmenswertes. Im Gegenteil: „Wer durch konsequente Stärkung des öffentlichen Raums eine hohe Markenreputation erworben hat, baut Kapital auf. […] Eine politisch nachhaltige Unternehmenskultur trägt zur ökonomischen Substanzsicherung bei. Gerade Aktionären mit langfristigen Anlagehorizonten muss daran gelegen sein.“ (Bohnen, 2020) Weiterhin vernachlässigt das Argument die Tatsache, dass politische Entwicklungen erhebliche Auswirkungen auf Unternehmen haben können. Durch das Erstarken rechtsextremer Tendenzen entstehen soziale Spannungen und Unsicherheiten, die auch die Wirtschaft beeinflussen. Unternehmen müssen daher aktiv an politischen Diskussionen teilnehmen, um ihre Interessen zu verteidigen und negative wirtschaftliche Konsequenzen abzufedern.

 

Die Bedeutung der demokratischen Debattenkultur am Arbeitsplatz

Betrachtet man den Politikbegriff im weiteren Sinne, dann geht es bei Politik im Kern um den Prozess der Entscheidungsfindung, der Interaktion und der Gestaltung von Regeln und Strukturen innerhalb einer Gemeinschaft. So lässt sich auch das Zusammenkommen von Individuen in Unternehmen, die sich als (Arbeits-)Gemeinschaft Spielregeln des Zusammenlebens und -arbeitens geben, als politischer Vorgang bezeichnen. Als Mikrokosmos der Gesellschaft bezeichnet, spielen sich in Unternehmen demnach die gleichen sozialen Dynamiken und Prozesse ab, wie in der Gesellschaft, in die sie eingebettet sind – nur eben auf kleinerer Ebene. Folglich sind demokratische Austauschformate und eine offene Debattenkultur am Arbeitsplatz genauso entscheidend für die unternehmensinterne Stärkung der Pluralität und Perspektivenvielfalt sowie für die Sicherung eines nachhaltigen (wirtschaftlichen) Erfolgs.

Unternehmen sollten daher einen Raum schaffen, in dem Mitarbeitende frei ihre Meinungen äußern können, ohne Repressalien oder Diskriminierung befürchten zu müssen. Wie Haskins bereits 1996 betonte, kann die freie Meinungsäußerung dazu beitragen, dass die Mitglieder einer Organisation sich empowered fühlen. Eine solche Kultur der psychologischen Sicherheit fördert nicht nur die Innovation und Kreativität, sondern stärkt auch das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Identifikation mit dem Unternehmen (Unger, Sann & Martin, 2022). Unternehmen, die unterschiedliche Standpunkte und Ideen zulassen und einen (politischen) Diskurs aktiv fördern, sind besser in der Lage, auf Veränderungen zu reagieren und innovative Lösungen zu entwickeln (Edmondson, 2018). Eine solche Vielfalt trägt nicht nur zur Stärkung des Unternehmens bei, sondern letztlich auch zur Stabilität und Resilienz der Gesellschaft als Ganzes (Peters & Bauer, 2024), die wiederum den sicheren Rahmen mit allen nötigen Freiheitsgraden für ein erfolgreiches wirtschaftliches Handeln bietet.

 

Von Betroffenheitsbekundungen zu Handlungen: Der Weg zur politischen Offenheit am Arbeitsplatz

Die Förderung von Meinungsvielfalt und die Verankerung einer politischen Diskussionskultur im Unternehmen erfordert ein systematisches Engagement und eine gezielte Strategie. Um ein rassismus- und populismusfreies Arbeiten zu ermöglichen, tragen sowohl der Personalbereich als auch das Führungspersonal eine große Verantwortung (McDonald, 2022; Bohnen & Hennies, 2022). Mitarbeitende dürfen nicht nur das Gefühl bekommen, dass freie Meinungsäußerung grundsätzlich erlaubt ist, sondern von allen Führungsebenen auch nachdrücklich unterstützt und gefördert wird (Haskins, 1996).

Um den Stellenwert der freien Meinungsäußerung zu stärken, sind reine Betroffenheitsbekundungen oder Statements zur aktuellen politischen Lage nicht (mehr) zielführend. Es kommt vielmehr auf konkrete Maßnahmen und aktives Handeln an. Dazu gehören die Schaffung eines offenen und respektvollen Arbeitsumfelds, die Etablierung von Austauschformaten und offenen Diskussionsforen sowie die Förderung von interkultureller Kompetenz, Kompromissfähigkeit und Diversity Management (Bohnen & Hennies, 2022; Peters & Bauer, 2024). Um die nötigen Grundvoraussetzungen für einen konstruktiven (politischen) Austausch zu schaffen, d. h. ein Umfeld, in dem sich alle Mitarbeitenden sicher fühlen, frei ihre Meinung zu äußern, bieten sich Trainings zur Stärkung der psychologischen Sicherheit in Teams an. Zudem sind Schulungen für Mitarbeitende und Führungskräfte zu sensiblen Themen wie Hatespeech, Verschwörungserzählungen oder gezielten Desinformationen wichtig, um eine respektvolle Diskussionskultur zu fördern (Business Council for Democracy, 2024). Überdies kann der Aufbau einer Wissensdatenbank, die eigenständig von Mitarbeitenden gepflegt wird (bspw. mit Podcasts, Videos und Publikationen zu politischen Themen), den Informations- und Meinungsaustausch aktiv fördern.

Doch auch externe Initiativen können dabei helfen, das Thema Politik sowie politisches Engagement im Unternehmensdiskurs zu verankern. Dies kann zum Beispiel durch die Unterstützung von Initiativen – finanziell oder durch Bereitstellung von Ressourcen – erfolgen, die sich für politische Bildung und Engagement einsetzen. Die Freistellung von Mitarbeitenden für politisches Engagement außerhalb des Unternehmens kann ebenfalls dazu beitragen, eine offene Debattenkultur zu fördern und das gesellschaftspolitische Engagement der gesamten Organisation zu stärken.

Fazit

Insgesamt zeigt sich, dass eine offene politische Diskussionskultur am Arbeitsplatz nicht nur ein Zeichen von Demokratie und Meinungsfreiheit ist, sondern auch einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung des Unternehmens und der Gesellschaft leisten kann. Unternehmen, die sich aktiv für Offenheit, Toleranz und Vielfalt einsetzen, sind nicht nur wirtschaftlich erfolgreicher, sondern auch gesellschaftlich relevanter und nachhaltiger – nicht zuletzt, weil sie dadurch, im Sinne des Employer Branding, einem Arbeitskräfte- beziehungsweise Fachkräftemangel entgegenwirken können.

 

Quellen