Wann Menschen die Digitale Transformation (nicht) als Chance sehen

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Bedrohung oder Chance? Die Einstellung der Mitarbeitenden zur Digitalen Transformation entscheidet nicht selten über den Erfolg des Wandels. Was beeinflusst aber die Wahrnehmung der Menschen auf die digitalen Veränderungen? 

Von Jan C. Weilbacher

Die Digitale Transformation ist für die meisten Unternehmen in Deutschland ein Thema mit hoher Priorität. Digitale Geschäftsmodelle und Kundenerlebnisse, virtuelle Zusammenarbeit, Automatisierung von Abläufen, vernetzte Produktion – die betroffenen Bereiche sind zahlreich, die Herausforderung enorm. Und die Corona-Krise hat der Digitalisierung nochmal einen Schub gegeben (vgl. Bertelsmann Stiftung, Münchner Kreis, 2020).

Dass die Unternehmen hinsichtlich ihrer digitalen Transformation sehr unterschiedlich vorankommen, hat unter anderem auch mit den Mitarbeitenden und ihrer Einstellung zur Digitalisierung zu tun. Je nachdem, ob sie die Digitalisierung als Bedrohung oder als Chance sehen, widersetzen oder unterstützen sie die umfassenden Veränderungen. Die Frage ist jedoch, welche Faktoren beeinflussen die Perspektive der Beschäftigten?

Unterschiede zwischen Beschäftigten im Büro und in der Fabrik

Wie Menschen die Digitale Transformation erleben, ist eine der zentralen Fragen, die kürzlich in einer Studie des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation (bidt) untersucht worden ist. Die Wissenschaftler führten 35 Tiefeninterviews mit Frauen und Männern in unterschiedlichen sozialen Lagen sowie gesellschaftlichen Positionen. Der Fokus in Bezug auf die Digitalisierung lag unter anderem auf der Flexibilisierung sowie der Automatisierung von Arbeit.

Mit Blick auf die Automatisierung zeigten sich beispielsweise deutliche Unterschiede zwischen den Beschäftigten im Büro und in der Fabrik. Während die Wahrnehmung und Bewertung der Automatisierungsansätze im Büro überwiegend negativ als Verdichtung von Arbeit und Zunahme von Belastung erlebt wurde, überwogen bei denjenigen Befragten, die die Automatisierung im Bereich der klassischen Handarbeit erleben, ein deutlich positives Bild, das vor allem durch eine Reduzierung körperlicher Belastungen im Sinne einer Humanisierung von Arbeit geprägt ist.

Die Autoren schreiben, dass der jeweils erfahrene Einfluss auf die eigenen Arbeitsbedingungen darüber entscheidet, ob die Menschen die Automatisierung positiv oder negativ erleben (Thomas Lühr et al, 2020).

Entscheidend ist die Gestaltung der Flexibilisierung von Arbeit

Das gilt ebenso für die Flexibilisierung von Arbeit in Raum und Zeit. Entscheidend sei, so die Autoren, ob die damit verbundenen neuen Möglichkeiten von den Befragten als Chance zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, etwa mit Blick auf die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben, wahrgenommen werden können oder eher als eine Bedrohung erlebt werden, zum Beispiel im Sinne einer weiteren Verdichtung und Intensivierung von Arbeit mit entsprechenden Folgen für die individuelle Belastung (Thomas Lühr et al, 2020).

Interessant ist, dass die Wahrnehmung der Digitalisierung in erster Linie also nicht von persönlichen Dispositionen abhängt, sondern von objektiven Faktoren. Entscheidend ist, wie die Automatisierung oder die Flexibilisierung von Arbeit im jeweiligen betrieblichen Kontext gestaltet ist und wie es um die jeweilige individuelle Handlungsmacht der Beschäftigten vor dem Hintergrund ihrer objektiven Stellung auf dem internen oder externen Arbeitsmarkt bestellt ist. Wenn der eigene Arbeitsplatz eher als unsicher eingeschätzt wird, dann wird auch die Digitalisierung eher als Bedrohung gesehen, doch es ist nicht die Technik selbst die abgelehnt wird.

Die Autoren schlussfolgern, dass sich für Organisationen insgesamt die Herausforderung ergibt, auf Bedingungen der Digitalen Transformation so einzuwirken, dass Widerspruchserfahrungen reduziert werden und immer mehr Menschen in die Lage kommen, die Möglichkeiten der Digitalen Transformation als eine „Produktivkraft“ zur Erweiterung ihrer personalen Handlungsfähigkeit zu erfahren (Thomas Lühr et al, 2020).

Mitarbeitende empowern

Ob Mitarbeitende eine positive Einstellung gegenüber einer Veränderungsinitiative entwickeln, hängt allerdings ebenfalls davon ab, ob sie den Wandel als sinnvoll und richtig einschätzen. Die Notwendigkeit für den wirtschaftlichen Erfolg muss den Menschen klar sein (vgl. Tammo Straatmann et al, 2016).

Zudem ist entscheidend, wie sich andere, also Kollegen und Kolleginnen und vor allem Führungskräfte verhalten: Umso mehr die Menschen um mich herum die Erwartung haben,  dass ich den Wandel unterstütze, desto wahrscheinlicher werde ich mein Verhalten ändern (Tammo Straatmann et al, 2016).

Dass die Beschäftigten in der Lage sind, die Digitalisierung als Erweiterung ihrer Handlungsfähigkeit zu betrachten, hat viel mit ihrer eigenen wahrgenommenen Kontrolle zu tun: Wie einfach oder schwer wird das neue Arbeiten für sie? Das heißt, je eher Mitarbeitende der Meinung sind, dass sie die nötigen Ressourcen und Kompetenzen mitbringen, desto wahrscheinlicher entwickeln sie auch eine positive Einstellung zu der Veränderung und werden sie unterstützen (Tammo Straatmann et al, 2016).

Für Unternehmen kann das zum Beispiel bedeuten, im Rahmen der Digitalen Transformation verstärkt das Konzept des „Empowerments“ in den Blick zu nehmen. Beim psychologischen Empowerment „handelt sich um das Erleben von Bedeutsamkeit, Kompetenz, Selbstbestimmung und Einfluss im Beruf. Menschen, die sich psychologisch empowert fühlen, erleben ihre Tätigkeit als sinnvoll und trauen sich ihre Arbeitsaufgaben zu. Sie nehmen Autonomie wahr und sind überzeugt, dass ihre Arbeit etwas bewirken kann“ (Carsten Schermuly, 2016).

Unternehmen müssen demnach bei Veränderungen frühzeitig darauf hinwirken, dass Mitarbeitende aktiv Beteiligte des Wandels werden und sich auch als solche fühlen – das gilt erst recht im Rahmen der Digitalen Transformation.

Quellen: