Wann Achtsamkeitsprogramme in Unternehmen (keinen) Sinn machen

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Achtsam zu sein, gilt in unserer komplexen Welt als „in“. Auch Unternehmen beschäftigen sich zunehmend damit, ihren Mitarbeitern Achtsamkeit näher zu bringen – Programme sprießen wie Pilze aus dem Boden. Doch was sagt eigentlich die Forschung zur Achtsamkeit in Unternehmen?

Sie ist in aller Munde, doch was ist sie überhaupt, die Achtsamkeit? Die Wissenschaft stimmt darin überein, dass es sich um den Zustand handelt, in dem das Individuum aufmerksam und sich dessen bewusst ist, was in der Gegenwart stattfindet. Die bewusste Wahrnehmung dieser externen und internen Reize unterstützt weitergehend darin, unbewusst ablaufende und bewertende Haltungen zu umgehen und die damit meist einhergehende Reaktion aktiver zu steuern (Sutcliffe, Vogus, & Dane, 2016). Den Zustand der Achtsamkeit zu erreichen, ist laut Metaanalysen durch die regelmäßige Anwendung von achtsamkeitsbezogenen Techniken – wie der Meditation oder der Achtsamkeitsbasierten Stressreduktion (MBSR) – für jeden möglich (Dane, 2011; Chiesa & Serretti, 2009).

Vor dem Hintergrund einer sich zunehmend komplexer gestaltenden Arbeitswelt und den damit einhergehenden Anforderungen an Mitarbeiter, etablieren auch Unternehmen vermehrt achtsamkeitsbezogene Techniken und Programme für ihre Mitarbeiter. Erste Untersuchungen zeigen: Die Effekte solcher Interventionen auf das Individuum sind mannigfaltig und wirken sich auf verschiedenste Bereiche wie Aufmerksamkeit, Kognition, Emotion, Verhalten und Physiologie aus (Glomb et al., 2011; Jamieson & Tuckey, 2017). Studien bestätigen, dass ein achtsames Verhalten sich positiv auf die mentale und körperliche Gesundheit, die Konzentrationsfähigkeit, Gedächtnisfähigkeit, den Umgang mit Stress und auf ein prosoziales Verhalten in zwischenmenschlichen Beziehungen auswirkt (Good, et al., 2015; Vogus & Sutcliffe, 2012).

Der individuelle Aspekt ist nur eine Seite der Medaille

Ein tiefergehender Blick in die Forschung zeigt, dass die simple Etablierung solcher Programme durchaus auch kritisch betrachtet werden kann. So stellt sich heraus, dass es zwar unzählige wissenschaftliche Paper zum Thema Achtsamkeit gibt, die Achtsamkeitsforschung auf organisationaler Ebene jedoch eine recht neue Disziplin ist. Auch die Wirksamkeit von Achtsamkeit in Bezug auf organisationale Aspekte zeigt sich in Studien teils heterogen (Jamieson & Tuckey, 2017).

Werden beispielsweise bekannte Achtsamkeitsprogramme (z.B. MBSR) aus Kostengründen nur in Teilen implementiert oder sind diese nicht auf ihre Wirksamkeit hin geprüft, zeigen sich negative Effekte wie beispielsweise Jobunzufriedenheit oder ein erhöhtes Stresslevel (Jamieson & Tuckey, 2017). Unternehmen sollten sich zudem darüber bewusst sein, dass die positiven Effekte der Achtsamkeit (größeres Bewusstsein und ein tieferes Verständnis der Arbeitsbedingungen am Arbeitsplatz) in einem dysfunktionalen Umfeld durchaus auch unerwartete Auswirkungen haben können. So berichteten erste Untersuchungen von Call-Center-Agenten in Deutschland, dass sie sich “problematischer Stresssituationen am Arbeitsplatz” bewusster würden und sich deshalb verstärkt mit veränderten Arbeitsbedingungen beschäftigten bzw. darüber nachdenken, diese zu verlassen (Walach, et al., 2007). Entsprechend sollten Unternehmen bei der Implementierung von achtsamkeitsbezogenen Programmen nicht vergessen, dass die Achtsamkeit des Individuums nur eine Seite der Medaille darstellt. Um nachhaltig etwas zu bewirken, sollte neben der individuellen Achtsamkeit explizit darauf geschaut werden, die organisationalen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass sich die positiven Effekte der Achtsamkeit auch langfristig etablieren können (Sutcliffe, Vogus, & Dane, 2016). So wird zum Beispiel durch Entscheidungs- und Kommunikationsroutinen sichergestellt, dass die „achtsamen“ Eindrücke der Mitarbeiter geteilt werden.

Es müssen Ziele definiert und Kommunikationswege geschaffen werden

Bevor Unternehmen sich dazu entschließen, Achtsamkeit zu einem Thema zu machen, oder mehr noch, entsprechende Programme zu etablieren, empfiehlt sich daher, die folgenden Fragen zu stellen (Good, et al., 2015: Jamieson & Tuckey, 2017):

  • Was ist das Ziel des Programms?
  • Wen soll das Programm ansprechen?
  • Wer führt das Programm durch?
  • Inwiefern passt dies zu uns, unserer Kultur und den bestehenden Strukturen?
  • Wie können wir die individuelle Achtsamkeit auch organisational stützen?

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die positiven Effekte der Achtsamkeit zwar hinreichend erforscht sind, die direkte Übertragbarkeit auf den organisationalen Kontext jedoch noch weiter belegt werden muss und, unter bestimmten Bedingungen, auch kritische Gesichtspunkte aufweist. Für Unternehmen empfiehlt sich daher, sich gezielt mit dem Thema Achtsamkeit auseinanderzusetzen, Ziele zu definieren, Kommunikationswege zu schaffen und Strukturen anzupassen – denn genau hier liegen offensichtlich die Erfolgsfaktoren für nachhaltige positive Effekte achtsamkeitsbasierter Programme.

Zuletzt stellt sich die Frage, ob achtsamkeitsbasierte Interventionen die passenden Maßnahmen darstellen, um den vielfältigen Stressoren im Arbeitsalltag zu begegnen. So scheinen Unternehmen durch die Implementierung von Programmen Symptome zu behandeln, statt der zugrundeliegenden Ursachen. Vor dem Hintergrund der fraglichen Übertragbarkeit der positiven Effekte von Achtsamkeit auf den Arbeitskontext mag es somit zielführender sein, zunächst die organisationalen Rahmenbedingungen zu hinterfragen. Denn auch die beste Achtsamkeitstechnik kann nicht nachhaltig erfolgreich sein, wenn das Arbeitsumfeld und die Kultur des Unternehmens nicht dazu passen.

Quellen: