Skandal! Warum hat (k)einer was gesagt?

202106

Obwohl es zu ihren Kernaufgaben gehört, melden sich Aufsichtsräte oft nicht mit ihren Fragen, Sorgen und Bedenken zu Wort. Das kann verheerende Folgen für Unternehmen und die Gesellschaft haben. Wie lässt sich das richtige Umfeld schaffen, um das Ansprechen dieser Themen in Aufsichtsräten zu ermöglichen?

Von Klementine Klein

Die zentrale Pflicht des Aufsichtsrates

2015 war die Welt schockiert, als bekannt wurde, dass Volkswagen Millionen von Dieselautos manipuliert hatte, um bei einem Abgastest besser abzuschneiden. Im Jahr 2020 wiederum war die Öffentlichkeit empört, als sich herausstellte, dass 1,9 Milliarden Euro aus der Wirecard-Bilanz verschwunden waren, was zu einem 98-prozentigen Einbruch des Aktienkurses und zur Verhaftung des ehemaligen CEO Markus Braun führte. Die Frage, die diese Skandale und die vielen ähnlichen Beispiele aus der Vergangenheit aufwerfen, ist: Warum ist niemand eingeschritten und hat dem betrügerischen Verhalten widersprochen? In der Öffentlichkeit und in den Medien suchten viele die Schuld beim Aufsichtsrat. Schließlich ist es dessen Aufgabe, den Vorstand zu prüfen und zu beaufsichtigen. Doch gleichzeitig verdeutlichen diese Beispiele die Notwendigkeit, ein tieferes Verständnis dafür zu erlangen, was Aufsichtsratsmitglieder ermutigt, aber auch daran hindert, sich in derart prekären Situationen kritisch zu äußern.

Speaking up und Psychological Safety im Aufsichtsrat

Studien zum Thema “Speaking Up Behavior” und “Employee Voice” untersuchten, was Mitarbeitende dazu ermutigt, Probleme oder Bedenken anzusprechen – und, welche Auswirkungen das hat. Festgestellt wurde, dass Speak-up das organisationale Lernen und die Leistung verbessert (Morrison, 2014). Zudem fanden Wissenschaftler heraus, dass das von Managern geschaffene Umfeld einen großen Einfluss darauf hat, wie wohl oder unwohl sich Mitarbeitende dabei fühlen, ihre Meinung zu sagen. So gibt es Organisationen, die absichtlich ein Umfeld schaffen, das Angst und Unbehagen erzeugt, um ihre Angestellten zu entmutigen, ihre Stimme zu erheben und aus der Reihe zu tanzen (Pinder & Harlos, 2001). Die Wahrscheinlichkeit, dass Mitarbeitende Probleme oder Vorschläge kommunizieren, wird durch die Konsequenzen beeinflusst, die die Mitarbeitenden spüren, wenn sie sich äußern.

Um sie zu ermutigen, ihre Meinung zu sagen, sollten sie das Gefühl haben, sicher zu sein, wenn sie zwischenmenschliche Risiken eingehen (Edmondson & Lei, 2014). Edmondson nennt diesen Effekt, psychologische Sicherheit innerhalb eines Teams. Psychologische Sicherheit entsteht, wenn Mitarbeitende von den übrigen Gruppenmitgliedern gesehen, akzeptiert und respektiert werden, sich angenommen fühlen und auf dieser Basis Feedback geben können.

Eine aktuellere Studie (Klein, 2019) nutzte die Erkenntnisse aus der Speak-up-Literatur, um ein tieferes Verständnis dafür zu erlangen, wie sich Speak-up in Aufsichtsräten fördern lässt. Die Studie untersuchte – anhand von Interviews mit deutschen und niederländischen Aufsichtsratsmitgliedern – die psychologischen Faktoren und Bedingungen, die Aufsichtsräte auf einer persönlichen Ebene beeinflussen.

Prägende Einflüsse auf das Verhalten der Mitglieder

Die Studie brachte ans Licht, dass psychologische Sicherheit innerhalb eines Teams gekennzeichnet ist durch Vertrauen, Respekt und die gemeinsame Überzeugung, dass Mitglieder sich auch dann sicher fühlen können, wenn sie durch ihre Äußerungen zwischenmenschliche Risiken eingehen. Ein solches Umfeld ist das beste, um Aufsichtsräte zu befähigen, Kritik und Widerspruch, aber auch neue Ideen und Impulse deutlich äußern zu können. Das Schaffen einer solchen Umgebung wird durch die Gestaltung der Interaktionen beeinflusst. Die Wahl des Umfelds, das den Aufsichtsräten zur Verfügung steht, um selbstsicher das Wort zu ergreifen sowie die Führung des Vorsitzenden haben Einfluss darauf, ob sich eine solche Unternehmenskultur entwickeln kann. So beeinflusst auch die Entwicklung gemeinsamer Erwartungen an die Arbeit im Aufsichtsrat das Niveau der psychologischen Sicherheit im Aufsichtsrat. Als förderlich für das Schaffen eines Umfeldes, in dem sich die Aufsichtsratsmitglieder wohl und sicher fühlen, um Probleme und Bedenken anzusprechen, zeigten sich folgende Aspekte:

  • persönliche Verbindungen zwischen den Aufsichtsratsmitgliedern,
  • eine regelmäßige Reflexion über die Funktionsweise des Aufsichtsrates durch das gesamte Team
  • und ein offener und respektvoller Umgang mit den Beiträgen von Aufsichtsratsmitgliedern mit unterschiedlichem funktionalen Hintergrund.

Die Studie formuliert folgende Empfehlungen, um Vorstände dabei zu unterstützen, die Bedingungen für eine positive “Speak-up”-Kultur zu schaffen:

Erstens ist es wertvoll, einen regelmäßig stattfindenden Rahmen zu kreieren, in dem ein Abgleich zwischen den Meinungen der Aufsichtsratsmitglieder stattfinden kann und eine gewisse informelle Kommunikation möglich ist.

Zweitens sollte die Board-Evaluierung als integraler Bestandteil der Board-Arbeit betrachtet und von allen Mitgliedern des Boards ernst genommen werden (Nadler, Behan & Nadler, 2006).

Insgesamt betont die Forschung, wie wichtig es ist, Vorstände und Corporate-Governance-Strukturen als menschlich zu betrachten und – über Aufgaben und offiziellen Pflichten hinaus – zu schauen, dass die psychologische Dynamik berücksichtigt wird, die das Verhalten motiviert – oder eben ausbremst.

Quellen: