Mit VR lernt es sich (noch nicht) besser

202201

Lernen mit VR – warum es jetzt spannend wird

Immer mit der Ruhe: Bereits 1990 behauptete William Bricken, dass Virtual Reality (VR) einen großen Paradigmenwechsel in Bezug auf das Lernen mit sich bringen wird. Auf diesen Paradigmenwechsel warten wir seit 30 Jahren. In der Zwischenzeit konnten wir phänomenale Fehlschläge beobachten, etwa die intelligenten Brillen „Google Glasses“. Warum also sollte das Thema Lernen mit VR ausgerechnet jetzt spannend werden?

Von Philip Arau

”The next platform and Medium will be even more immersive. An embodied internet where you are in the experience and not just looking at it” (Mark Zuckerberg in seiner Keynote zum Metaverse)

Facebook Inc. hat sich seit seiner Umbenennung zu Meta einem großen Ziel verschrieben: dem Schaffen eines virtuellen Metaverse – eines fiktiven virtuellen Universums – durch den Einsatz von VR und Augmented Reality (AR). Dabei sollen allein 150 Millionen Dollar in die Entwicklung und Förderung von immersiven, d.h. effektiven virtuellen oder fiktionalen, Lerninhalten investiert werden. Auch andere große Unternehmen wie Google, Nestlé und PwC setzen VR zum Lernen ein. Nicht nur im Markt, sondern auch in der Forschung befindet sich VR rapide im Aufwind (Vergara et al., 2017). Gerade im Bereich des Lernens via VR zeigt sich ein exponentielles Wachstum an Veröffentlichungen (Liu et al., 2017). Doch auch, wenn wir davon ausgehen können, dass Lernen via VR ein weitverbreiteter Gegenstand der (sehr) nahen Zukunft ist, stellt sich eine zentrale Frage: Lernen wir mit VR besser?

Live dabei und trotzdem sicher

Virtual Reality hat einen massiven Vorteil, der sich bereits im zweiten Teil seines Namens versteckt: Sie ist realitätsnah. Diese Aussage klingt im ersten Moment etwas platt, Studien zeigen jedoch, dass Menschen in einem VR-Umfeld die gleichen physiologischen und psychischen Reaktionen wie in der Wirklichkeit zeigen (Martens et al., 2019), etwa geweitete Pupillen bei der Konfrontation mit einem Tiger (Chen et al., 2017).

Es ist also kein Wunder, dass VR schnell zum Lernen von Hard Skills in Bereichen angewendet wurde, bei denen in der Realität jeder Handgriff sitzen muss. Vielversprechende Hard Skill-VR-Trainings finden sich in der Chirurgie (Wijewickrema et al., 2017) oder dem Bergbau (Tichon & Burgess-Limerick, 2011). Auch Trainings für weniger risikobehaftete Ingenieure oder Handwerker kamen zu vielversprechenden Ergebnissen (Vergara et al., 2017). Die Studie von Tichon und Burgess-Limerick (2011) verdeutlicht jedoch auch, dass solche Evaluationen aufgrund ihrer hohen methodischen Ansprüche mit Vorsicht zu genießen sind.

Unterstützt wird dieser scheinbar positive Effekt von VR auf das Erlernen von Hard Skills durch Ergebnisse, die zeigen, dass VR Trainings das Lernen und vor allem das langfristige Verinnerlichen von deskriptivem Wissen fördern (Webster, 2016).

Den Umgang mit Menschen in der virtuellen Realität erlernen
Funktioniert das Lernen in VR auch für weniger haptische Fähigkeiten? Die Wirksamkeit von Soft Skill-VR-Trainings hängt dabei ganz von der betrachteten Studie ab. Eine Studie von PwC (2020) fand sagenhafte Ergebnisse: Viermal schnelleres Lernen im Vergleich zu Präsenztrainings und 275 % mehr Zuversicht, das Gelernte anzuwenden. Andere Studien zeigen dagegen keinen signifikanten Mehrwert durch VR (Kampmann et al., 2016; Klaassen et al., 2018). Werden erste Meta-Analysen (Howard & Gutworth, 2020) sowie weitere Einzelstudien (Coffey et al., 2017) betrachtet, so sind die Effekte von VR zwar positiv, aber lange nicht in dem Ausmaß, wie die Studie von PwC (2020) vermuten lässt. Woher kommen diese Unterschiede und was hat einen Einfluss darauf, ob VR-Trainings erfolgreich sind?

Was unsere Lernerfahrung in VR beeinflusst

Bei genauerer Inspektion der zuvor erwähnten Studien fällt ein großer Unterschied bezüglich der Stichproben auf. Die Studie von PwC wurde im eigenen Unternehmen durchgeführt, bei Mitarbeitenden, die als „digital natives“ bezeichnet werden, während beispielsweise Klaassen und Kollegen (2018) eine Stichprobe von weniger digital versierten Probanden genutzt haben. Der digitale Reifegrad der Nutzenden scheint also einen wichtigen Einfluss darauf zu haben, ob die Möglichkeiten von VR-Trainings ausgenutzt werden können (Howard & Gutworth, 2020).

Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor ist das Design der VR-Lernumgebung und zwangsläufig auch dessen Entwicklung (Vergara et al., 2020). VR Anwendungen haben sich mit mehr Erfahrung und wachsendem Fortschritt in Hard- und Software in den letzten Jahren immens verbessert. Ein Beispiel für solch eine moderne und hoch detaillierte Anwendung, ist das von PwC verwendete Programm des Unternehmens Talespin.

Lernen wir in VR besser oder nicht?

Zusammenfassend lässt sich sagen: Aus VR lassen sich jetzt schon viele Vorteile ziehen, sowohl für die Entwicklung von Hard Skills als auch von Soft Skills. Um aber einen maximalen Nutzen aus der Technologie zu ziehen, benötigt es eine ausreichende digitale Reife der Nutzenden und die gelungene Umsetzung von Lerninhalten in VR.

Mit dem Investment von Meta und der steigenden Aufmerksamkeit im Markt, wird sich die Anzahl an hochwertigen VR-Lernanwendungen ohne Zweifel vergrößern. Die digitale Reife der Nutzenden liegt jedoch in den Händen des Individuums oder wahrscheinlich eher: in der Verantwortung der Organisation.

Die Frage ist also weniger, ob wir über VR lernen werden, sondern eher wann.

Quellen: