Innovationen sind im Homeoffice (un)möglich

202109

Homeoffice hat während der Corona-Pandemie enorm an Bedeutung gewonnen und den beruflichen Alltag vieler Menschen verändert. Während das Ermöglichen von mobiler Arbeit zunehmend politische Relevanz erhält, setzen sich Arbeitgeber:innen und Wissenschaftler:innen verstärkt mit den Fragen auseinander, welche Auswirkung das Homeoffice auf die erbrachte Leistung hat – und, ob das Homeoffice Innovationen hemmt?

Von Jana Becks

„Innovation ist mehr als Heimarbeit. Sie hat mit dem zufälligen Aufeinandertreffen von Personen während des Tages zu tun, um Ideen, die man gerade entwickelt hat, voranzubringen“, meint Apple-Chef Tim Cook. Zahlreiche Expert:innen teilen diese Ansicht. Schließen Innovation und Homeoffice sich also aus?

Homeoffice-Einflüsse auf den Innovationsstandort Deutschland

Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO untersuchte jüngst die Auswirkungen von Homeoffice auf das Innovationsgeschehen der deutschen Wirtschaft. Befragt wurden 328 mittelständische und Großunternehmen der Branchen Kfz-Bau, Elektrotechnik, Chemie, IKT und Finanzen/Versicherungen. Dabei wurde ermittelt, welche Auswirkungen die Ausweitung der virtuellen Zusammenarbeit auf den Innovationsstandort Deutschland hat. Kompakt lassen sich die im Bericht dargestellten Ergebnisse folgendermaßen zusammenfassen: Von einem Hemmschuh kann keine Rede sein. Stattdessen entwickelte sich die Innovationsleistung in den untersuchten Industrien in der Gesamttendenz, trotz vermehrtem Homeoffice, eher positiv. Die genutzten Daten implizieren den positiven Effekt einer möglichst umfassenden Digitalisierung der Kommunikation in den Entwicklungsbereichen der Unternehmen auf deren Innovationsleistung.

Benötigt Innovation nicht die physische Anwesenheit aller Beteiligten, den unmittelbaren Austausch mit dem Gegenüber?

Mit diesen Fragen haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Hannover und Köln auseinandergesetzt. Im Rahmen ihrer experimentellen Studie ahmten sie den Beginn eines Innovationsprozesses nach, in dem die Aufgaben einzelner Teammitglieder stark voneinander abhängen. Die Studienteilnehmer (n = 276) wurden in drei Gruppen aufgeteilt. Stellvertretend für den Akt der Ideengenerierung sollten sie kollaborativ Begriffe durch Illustrationen veranschaulichen. Dafür wurde ihnen auf Bildschirmen ein Zeichenfeld sowie ein Baukasten mit Zeichenelementen wie farbigen Punkten, unterschiedlich breiten Stricken, Kreisen und Kurven präsentiert. Gruppe 1 befand sich im selben Raum, Gruppe 2 war per Videocall, Gruppe 3 via Chat miteinander verbunden. Der innovative Charakter der entstandenen Illustrationen wurde anhand der Kriterien „Einzigartigkeit“, „Nützlichkeit“ und „ästhetischer Wert“ bewertet. Es zeigte sich, dass die kreative und innovative Leistung bei der Chat-Kommunikation signifikant geringer war als bei der persönlichen Kommunikation – insbesondere in Bezug auf das Kriterium „Nützlichkeit“. Keine signifikanten Unterschiede ergaben sich hingegen zwischen der persönlichen Kommunikation innerhalb eines Raumes und dem Austausch per Videokonferenz. Diese Ergebnisse decken sich mit jenen früherer Studien (Brosig, J. et al., 2003). Einer Chat-Kommunikation scheint es an der Vielfalt unterschiedlicher Kommunikationsmittel (z. B. Gesichtsausdrücke und Mimiken) zu mangeln, die es, so die Annahme, evolutionär bedingt benötigt, um wirksam miteinander zu kooperieren.

Was bedeuten diese Ergebnisse für Unternehmen in der Praxis?

Zunächst einmal die Erkenntnis, dass Innovation auch im virtuellen Kontext entstehen kann – sofern geeignete Kommunikationskanäle gewählt werden. Während die Chat-Kommunikation eher negative Auswirkungen auf den Innovationsprozess hat, können Videokonferenzen die persönliche Auseinandersetzung ersetzen.

Dies impliziert die Handlungsempfehlung, Infrastruktur für die digitale Kommunikation weiter auszubauen. Dass „rein virtuell“ in den unterschiedlichsten Branchen möglich ist, wurde aufgezeigt. Wo analoges und virtuelles Arbeiten zusammenkommen, gilt es, stringente Kommunikationsmedien und -formate zum hybriden Modell zu entwickeln.

Wenn, wie einst Bundespräsident Roman Herzog in seiner „Berliner Rede“ sagte, die Fähigkeit zur Innovation über unser Schicksal entscheidet, sollte die Wahl des geeigneten Kommunikationsmediums in Zeiten der digitalen Zusammenarbeit und des Homeoffice wohlüberlegt sein.

Quellen: