In der mobilen Arbeitswelt ist es ist (un)möglich, abzuschalten

202210

Spätestens seit Anfang der Corona-Pandemie ist das mobile Arbeiten für viele Erwerbstätige zur Normalität geworden. Als Resultat verwischen die Grenzen zwischen der Arbeits- und Privatwelt mehr und mehr. Aus dem privaten Rückzugsort wird der Arbeitsort, E-Mails werden zu jeder Uhrzeit beantwortet und die wichtige Präsentation wird noch schnell nach dem Abendessen finalisiert. Lässt sich in einem solchen Umfeld überhaupt noch richtig abschalten?
Von Claudia Diederichs

Abschalten in einer mobilen Arbeitswelt

Die Art und Weise, wie zusammengearbeitet wird, hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Digitalisierung ermöglicht es, über zeitliche und physische Grenzen hinweg miteinander verbunden zu sein, was Anforderungen an Raum und Zeit neu definiert (Reinke & Düvel, 2022). Zudem sind viele Erwerbstätige ununterbrochen erreichbar, um mit den steigenden Anforderungen und der erhöhten Arbeitsintensität und -geschwindigkeit mitzuhalten (Reinke & Düvel, 2022). Entsprechend verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben immer mehr und es fällt vielen Erwerbstätigen schwerer, von der Arbeit abzuschalten (Kelliher & Richardson, 2019; Kubicek & Tement, 2016). Dies stellt für Erwerbstätige und Unternehmen eine zentrale Herausforderung dar, denn abschalten ist ein notwendiger Bestandteil der Arbeitswelt.

Warum das Abschalten so wichtig ist

Das Abschalten von der Arbeit, d.h. die psychologische Trennung von der Arbeit in der arbeitsfreien Zeit, ist entscheidend für den Erhalt der psychischen und physischen Gesundheit, des Wohlbefindens, der Lebenszufriedenheit und der Leistungsfähigkeit von Erwerbstätigen (Karabinski et al., 2021; Reinke & Düvel, 2022; Sonnentag & Fritz, 2007). Abschalten bezieht sich hierbei nicht nur darauf, in der arbeitsfreien Zeit auf arbeitsbezogene Aktivitäten zu verzichten, sondern impliziert, dass die Arbeit mental hinter sich gelassen wird, um Distanz von den Anforderungen der Arbeit zu gewinnen (Etzion et al., 1998). Abschalten ist somit eine Erholungserfahrung, die für Entspannung und der Verarbeitung von Arbeitsstress sorgt. In einer entsprechenden Ruhephase ohne weitere Anforderungen aus dem Arbeitskontext, kann die Zeit genutzt werden, um strapazierte Ressourcen wieder aufzubauen (Karabinski et al., 2021).

Wie Unternehmen und Führungskräfte aktiv unterstützen können

Doch wie lässt sich Abschalten in einer Welt gewährleisten, in der die Grenzen zwischen Arbeits- und Berufswelt nicht mehr klar zu erkennen sind? Eins ist klar, der Wandel der Arbeitswelt ist nicht aufhaltbar und das ist auch gut so. Denn mit diesem Wandel gehen auch viele Vorteile einher, die Erwerbstätige zu schätzen gelernt haben. Dennoch sollten Organisationen sich bewusst sein, wie wichtig Abschalten für die Produktivität und Zufriedenheit ihrer Mitarbeitenden ist und Rahmenbedingungen für dessen Förderung schaffen. Gemäß der Meta-Analyse von Karabinski et al. (2021) spielt das Thema der aktiven Grenzgestaltung hierbei eine zentrale Rolle. Insbesondere Führungskräfte müssen verstehen, dass sie mit ihrem Verhalten und ihren Erwartungen die Grenzgestaltung und Erreichbarkeit ihrer Mitarbeitenden implizit und explizit beeinflussen (Reinke & Düvel, 2022). Sie sollten daher gesunde Grenzgestaltung fördern und als Vorbildfunktion agieren. Gleichzeitig müssen sich Mitarbeitende mit ihren eigenen Grenzen auseinandersetzen und diese kommunizieren. Maßnahmen wie ein fester Arbeitsplatz im Home-Office, klar kommunizierte Erreichbarkeitszeiten oder Rituale, die den Übergang in die Freizeit signalisieren, sind hierbei einige von zahlreichen Strategien zur aktiven Gestaltung von Grenzen (Reinke & Düvel, 2022). Und letztlich muss auf organisationaler Ebene eine Kultur geschaffen werden, die eine gesunde Grenzgestaltung ermöglicht. Denn nur so kann gewährleistet werden, dass Abschalten auch in einer mobilen Arbeitswelt möglich ist. Das lässt sich – gerade vor dem Hintergrund steigender Fehlzeiten wegen psychischer Erkrankungen wie Burn-out und der wichtigen Prävention im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung – nicht oft genug wiederholen.

Quellen