Das Geschlecht hat (k)einen Einfluss auf Berufswahl und Karriere

202202

Auf den ersten Blick stehen Männern und Frauen bei der Berufswahl und Karriere gleichermaßen alle Türen offen. Dennoch sprechen wir von Männer- bzw. Frauenberufen und sehen in Führungsetagen nur wenige Frauen. Warum ist das so?

Von Julia Jonas

Aufgrund des Fachkräftemangels wird in Stellenausschreibungen vermehrt das unterbesetzte Geschlecht angesprochen, etwa Frauen für Handwerksberufe oder Männer für den Beruf des Erziehers. Dennoch zeigen Statistiken wie der Ausbildungsreport, dass bei der Berufswahl nach wie vor von typischen Männer- bzw. Frauenberufen gesprochen werden kann. Daneben stehen gerade größere Unternehmen in der öffentlichen Kritik, wenn es um die Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen geht. Selbst die zunehmende Einführung von Quotenregelungen scheint dieses Problem nicht zu lösen.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Geschlechter

Einen ersten Ansatz liefert die umfangreiche Arbeit der Psychologin Jane Hyde: Bei 80 Prozent der Variablen fand sie keinen oder fast keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen (Hyde, 2005). Daraus folgt ihre Hypothese, dass sich die Geschlechter eher gleichen als unterscheiden. Sie widerspricht damit der, die Forschung und Medien beherrschende, Wahrnehmung, welche sich eher auf Gegensätze fokussiert (Schaarschmidt, 2015).

Viele Forscher bekräftigen, dass „sich fast alle Klischees über Männer und Frauen als weit übertrieben herausstellen, wenn man die Größe der Differenzen nüchtern betrachtet“ (Retzbach, 2017). Studien zeigen, dass durch Training neue Fähigkeiten erlernt werden können, was auch im Gehirn sichtbar wird. Aufgrund dieser Wandlungsfähigkeit sei das Gehirn „eine denkbar schlechte Stelle, um nach angeborenen Unterschieden zwischen Männern und Frauen zu suchen“, sagt die Psychologin Marlies Pinnow von der Ruhr-Universität Bochum. Im Gegensatz dazu glaubt der Neurowissenschaftler Larry Cahill nicht, dass das Gehirn „ein unbeschriebenes Blatt und durch Erfahrungen beliebig veränderbar“ sei (Scharrschmidt, 2015). Es bleibt bis heute und vielleicht für immer unklar, wieviel angeboren bzw. anerzogen ist (Retzbach, 2017).

Eventuell liefert die Sozialpsychologie eine Antwort. Hier spricht man von Geschlechterstereotypen, welche unsere persönlichen Vorstellungen davon sind, wie sich die Geschlechter unterscheiden (sollten) (Deaux & Kite, 1993). Sie bewirken, dass sich die Bewertung einer Person – inklusive uns selbst – und deren Fähigkeiten je nach Geschlecht ändert. Zudem zeigt sich, dass sich Geschlechterstereotypen auf die soziale Interaktion auswirken (Deaux, K. & LaFrance, M. 1998).

So zeigt eine Studie der Universität Konstanz, dass Wissenschaftler:innen häufig als weniger qualifiziert wahrgenommen werden, obwohl sie gleiche Leistungen erbringen (Woelki, 2010). Das könnte einer der Gründe sein, weshalb Frauen laut Statistischem Bundesamt, hauptsächlich in Westdeutschland, durchschnittlich immer noch 18 Prozent weniger je Stunde verdienen als Männer (Destatis 2022). Eine Gleichbehandlung hätte jedoch Vorteile. Eine Studie von Elsevier ergab: Gemischtgeschlechtliche Teams beziehen eher vielseitige Perspektiven, Ansätze und Erfahrungen ein (Pan et. al., 2015), was essenziell für die Innovationskraft von Unternehmen ist.

Eine mögliche Erklärung für die Rollenbilder: Wir werden schon als Kinder geprägt, etwa durch die Zuschreibungen auf Kleidung und Spielzeug (Retzbach, 2017). Kinder orientieren sich zudem an Vorbildern des gleichen Geschlechts und streben danach, das Verhalten zu übernehmen (Steins, 2010). Es liegt nahe, dass unsere Prägung im Kindesalter und im weiteren Leben Einfluss auf unsere Berufswahl und Karriere hat. Sie entscheidet über die Antwort auf: Kann ein Mann Florist oder eine Frau Pilotin sein? Und kann eine Frau ein Unternehmen leiten?

Empfehlungen für mehr Chancengleichheit

Um für gleiche Chancen zu sorgen, ist jede:r gefragt, Verhalten und Entscheidungen in jedem Kontext zu hinterfragen. Für Unternehmen reicht es nicht aus, Kampagnen zu starten, um mehr Männer oder Frauen anzulocken. Einstellungsprozesse müssen überprüft werden, ob diese frei von geschlechtsspezifischen Vorurteilen sind. Außerdem ist es essenziell, für Aufklärung über die Stereotypen zu sorgen, Raum für Reflektion zu schaffen und den bewussten Umgang damit in die Unternehmenskultur zu übertragen. Ein erstes Mittel können Checklisten sein, die Vorgesetzte und Mitarbeiter:innen unterstützen, gute Entscheidungen zu treffen.

Quellen: