70 Prozent aller Change-Vorhaben scheitern (n)immer

Jeder Manager hat in seiner Karriere schon von den Weissagungen der alten Hasen gehört: Changeprojekte wären aufwändig, nicht ungefährlich für die Karriere und erreichen selten wirklich ihr Ziel. Um das zu belegen, wird gerne diese Behauptung mit der magischen 70-Prozent-Regel unterlegt: So sollen rund 7 von 10 Initiativen nicht die gewünschten Ergebnisse erreichen. Woher kommt dieser Erfahrungswert? Wie verlässlich ist diese Quote?
Mark Hughes ist diesen Fragen nachgegangen. Dafür hat er fünf häufig zitierte und einflussreiche Studien analysiert. Sie reichen von Beiträgen aus der Feder von Unternehmensberatungen (Bain and Company, Mc Kinsey and Company) bis zu Klassikern der Changeliteratur (wie bspw. Kotter, Beer, Noharia und Hammer u.a.). Alle von Hughes zitierten Beispiele postulieren eine Misserfolgsrate von 70 Prozent bei Veränderungsprozessen. Bitter ist, dass an keiner Stelle die Autoren eine empirische Evidenz belegen können und unabhängig voneinander mit Erfahrungswerten argumentieren. Ist damit die magische Zahl nur ein Mythos, der auf Vermutungen und Schätzungen basiert? Fünf Argumente sprechen dafür, dass dem so ist.

1. Die Zweideutigkeit des organisationalen Wandels
Gedanklich ist zwischen den direkten und indirekten Auswirkungen des Wandels zu unterscheiden. Direkte Auswirkungen sind unmittelbar sichtbar, indirekte zu einem späteren Zeitpunkt. Eine Messung der Erfolgsrate von Veränderungsvorhaben überbetont die direkten Auswirkungen und vernachlässigt die indirekten, da sie nicht sofort erkennbar sind.

2. Organisationaler Wandel als kontextabhängiges Konstrukt
Typischerweise werden organisationale Veränderungen als langfristiger, fortschreitender Prozess auf Basis von strategischen Setzungen verstanden. Mit anderen Worten der strategische Rahmen ist äußerst wichtig. Eine vergleichende Evaluation in verschiedenen Unternehmen scheitert an den Kontextbezügen und -unterschieden.

3. Unterschiedliche Ansichten der Ergebnisse von Change-Prozessen
Obwohl die Wissenschaft versucht, bei Evaluationen stets die Objektivität zu bewahren, gelingt dieses in der Praxis nicht immer. Bewerter lassen unbewusst ihre individuellen und subjektiven Interpretationen von Wandel einfließen und verfälschen somit das Ergebnis der Messung.

4. Zeit und Ergebnisse der Veränderung
Wann die Ergebnisse der Initiative bewertet werden, hat große Auswirkung auf die wahrgenommenen Erfolge. Ein Beispiel: Tom Peters veröffentlichte in seinem Werk „In Search of Excellence“ Unternehmen, die exzellent performen. Zwei Jahre nach der Publikation hatten ein Drittel der exzellenten Organisationen finanzielle Probleme.

5. Die Messbarkeit von Ergebnissen
In der Praxis von Evaluationen findet sich ein typisches Muster: Zunächst wird erhoben, was am einfachsten messbar ist. Dann werden die schwerer messbaren Werte bestimmt und im dritten Schritt wird entschieden, was man nicht seriös messen kann. Ist etwas nicht messbar, ist es scheinbar auch nicht wichtig, so eine weitverbreitete Logik. Kurzum: Qualitative Aspekte werden tendenziell eher vernachlässigt.

Alle fünf Argumente mehren die Zweifel an einer pauschalen 70-Prozent-Formel und ihrer empirischen Erfassbarkeit. Getrost darf die Quote als Mythos bezeichnet werden, denn ihre Evidenz konnte noch nie gezeigt werden. Über die Jahre hat sie sich lediglich als Erfahrungswert in Artikeln und Büchern „fortgepflanzt“. Das Change herausfordernd ist, steht außer Frage. Ob er aber tatsächlich in 70 Prozent der Fälle scheitern muss, ist mehr als fraglich.

Quellen