…ist dieser Tage immer wieder zu hören. Und eigentlich geht mit diesem Satz das Problem schon los. Denn eine Lernkultur haben alle Organisationen. Die Frage ist eher, ob diese Lernkultur für die individuellen und organisationale Entwicklung förderlich ist.
Förderlich bedeutet, dass sich Organisationen und die Menschen, die diese Organisationen tragen, stetig weiterentwickeln müssen. Das ist keine neue Idee, aber sie wird in Zeiten der digitalen Netzwerkgesellschaft in einer Welt, die von permanenten disruptiven Ereignissen geprägt ist, nicht nur wichtiger, sondern existenziell notwendig.
Die Lebensdauer von Unternehmen ist in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch geschrumpft. Die Hälfte aller börsennotierten Unternehmen verschwindet innerhalb eines Jahrzehnts. Nur eine lernende Organisation ist eine überlebens- und zukunftsfähige Organisation. Was ist also zu tun, um eine förderliche Lernkultur zu etablieren?
Viel zu häufig arbeiten sich irgendwo unter HR angesiedelte „Learning & Development-Bereiche“ an kleinen Maßnahmen ab, um die Lernkultur zu gestalten. Die Schlagkraft ist gering und die Wirksamkeit eingeschränkt. Eine Lernkultur betrifft die gesamte Organisation und geht weit über die klassische Personalentwicklung hinaus.
Da heute oft nicht klar ist, was Menschen morgen können müssen, muss Lernen selbstverantwortlicher werden und kann nicht mehr nur durch die Personalentwicklung gesteuert werden. Daher sollte Lernen in der Unternehmensstrategie verankert sein und dementsprechend prioritär behandelt werden.
Ein schönes Beispiel ist die öffentliche Aussage des Microsoft-CEOs Satya Nadella, die die angestrebte Lernkultur und -haltung des Unternehmens beschreibt: „Don’t be a know-it-all. Be a learn-it-all.“
Jede Organisation hat ihre eigene Lernkultur. Diese zu verstehen, ist notwendig, um zu entscheiden, an welchen Stellen Veränderungen des organisationalen Lernens notwendig und möglich sind. Auch hier gilt, dass eine reine Analyse der Personalentwicklungsinstrumente einer Organisation nicht ausreicht. Wer Kultur verstehen will, muss sich mit drei Ebenen beschäftigen:
- Grundannahmen: Welche Glaubenssätze haben die Menschen in der Organisation über das Lernen?
- Werte und Normen: Wie kommt das Lernen in Leitlinien, Strategien, Ziele und anderen handlungsleitenden Praktiken zum Ausdruck? Werden diese gelebt und wenn ja, wie?
- Artefakte: Wie manifestiert sich die Lernkultur sicht- und hörbar beispielsweise in Strukturen, Routinen, Prozessen, Lernformaten?
Nachdem der Ist-Stand klar ist, geht es darum, wirksame Stellhebel zu identifizieren. Hierbei gilt es, die Organisation ganzheitlich zu betrachten, um lernförderliche Maßnahmen zu identifizieren:
- Führung: Wie können Führungskräfte ihr Team bei der Weiterentwicklung unterstützen und selbst eine Vorbildrolle einnehmen?
- Produkte und Services: Welche Lernformate und digitalen Services muss die Organisation zielgruppenspezifisch anbieten?
- Orte und Räume: Wie können Orte so gestaltet werden, dass sie Lernen fördern?
- Verantwortung und Struktur: Wie können Strukturen (auch zeitlich) geschaffen werden, die Lernen zum integralen Bestandteil der Arbeit machen?
- Prozesse und Methoden: Wie können lernförderliche Prozesse und Methoden etabliert werden?
- Ressourcen und Fähigkeiten: Wie können Mitarbeitende dabei unterstützt werden, „Lernen zu lernen“?
- Orientierung und Selbststeuerung: Wie können Mitarbeitende empowert werden, das eigene Lernen selbstorganisiert in die Hand zu nehmen?
Fehler- und Lernkultur gehen Hand in Hand. Jegliches Feedback-Format wird seinen Erfolg verfehlen, wenn keine psychologische Sicherheit besteht. Das bedeutet eine Arbeitsatmosphäre, in der Menschen offen kommunizieren, Fehler zugeben und Fragen stellen dürfen.
Um in unsicheren Zeiten lernen zu können, muss es möglich sein, Fehler zu machen und daraus lernen zu dürfen. Dies zu erreichen, ist Führungsaufgabe. Führungskräfte müssen verstehen, wie wichtig psychologische Sicherheit und Umgang mit Fehlern für das effektive Lernen im Team sind. Und sie müssen Möglichkeiten kennenlernen, diese im Team zu etablieren. Darüber hinaus sind Prozesse und Methoden zu identifizieren, die die Fehlerkultur in der Organisation stärken können (zum Beispiel regelmäßige Feedback-Formate).
„Um in unsicheren Zeiten lernen zu können, muss es möglich sein, Fehler zu machen und daraus lernen zu dürfen.“
Ohne Empowerment funktioniert keine Selbstorganisation. Es geht darum, Mitarbeitende dabei zu unterstützen, herauszufinden, was sie lernen müssen und was die besten Formate und Prozesse dafür sind. Die meisten von uns müssen das „Lernen lernen“.
Aber es geht auch darum, das Entwicklungspotenzial in jeder Person zu erkennen und individuelle Stärken zu fördern. Dieses Zutrauen in die eigene Lernfähigkeit ist eine notwendige Voraussetzung in Bezug auf jeden Menschen und wird häufig als „Growth Mindset“ beschrieben. Zusätzlich haben Führungskräfte die Aufgabe der Lern- und Entwicklungsunterstützung und damit eine große Verantwortung. Auch ist es notwendig, Orientierung zu geben, zum Beispiel in Form einer klar kommunizierten Lernstrategie.
Natürlich dürfen auch vielfältige Lernformate und -angebote nicht fehlen. Eine funktionierende Lerninfrastruktur gehört genauso dazu wie zielgruppenorientierte Lernprodukte. Wichtig bei alldem ist, dass der Rahmen und die Zeit für das Lernen gegeben sind und es Prozesse und Standards gibt, um das (selbstorganisierte) Lernen zu organisieren und evaluieren zu können.
Insgesamt wird deutlich: Lernkulturentwicklung ist wie jedes Kulturprojekt kein Sprint, sondern ein Marathon. Doch es lohnt sich, die Kilometer in Angriff zu nehmen, um langfristig erfolgreich zu sein und seine Mitarbeitenden zu binden.