Auf den einschlägigen HR-Konferenzen sind die Vertreter*innen von Institutionen des öffentlichen Sektors häufig in der Minderheit. Zu wenige Inspirationen gingen von ihnen aus, zu gering sei der Mehrwert für andere, lauten typische Vorurteile. Doch dem ist nicht so. Trotz einer höchst regulierten Umwelt bringen diese Organisationen innovative Ansätze für das Personalmanagement hervor.
Der öffentliche Sektor in Deutschland hat nicht den besten Ruf. Er sei langsam, unflexibel, bürokratisch und kaum leistungsfähig. Zeitungen und soziale Medien sind voll der Geschichten des Scheiterns: Keine Termine im Bürgeramt; Bauanträge dauern sehr lange; Bahnhöfe und Museen werden nicht fristgerecht fertig; Schulen, Feuerwehren und Kasernen sind marode; Züge kommen zu spät. Witze über arbeitsscheue Beamt*innen und Bashing öffentlicher Einrichtungen gehören zum guten Ton. Das Ranking der Bundesrepublik im Digital Economy and Society Index (DESI) der EU-Kommission zeigt, dass Deutschland beispielsweise beim Angebot digitaler Serviceleistungen der öffentlichen Verwaltung im Jahr 2022 lediglich auf Platz 18 von 27 EU-Ländern lag.
Auf der anderen Seite gibt es kaum einen Sektor, der mit einem natürlicheren Purpose ausgestattet ist. „Wir dienen Deutschland“ gilt nicht nur für die Bundeswehr, sondern für alle Angestellten und Beamt*innen in öffentlichen Einrichtungen. Sie erbringen tagtäglich Leistungen für unser Gemeinwesen, die alle erfolgskritisch sind. Ob sie Kinder unterrichten, Menschen retten, Pässe ausstellen, Renten berechnen oder ähnliches – es geht stets auch um den Zusammenhalt der Gesellschaft. Unter diesen Voraussetzungen sollte das HR-Management einen hohen Stellenwert haben. Hat es aber nicht. Überregulierung, Sparzwang, Angst vor dem Rechnungshof führen zeitweise zu einer Lähmung der Personalverantwortlichen. Zudem ist die öffentliche Verwaltung durch den klassischen Verwaltungsjuristen dominiert – keine gute Ausgangsbasis für Agilität und Innovation.
Blicken wir zunächst auf die größten Baustellen: Was macht das Personalmanagement so anspruchsvoll in diesem Sektor? HR in der öffentlichen Hand steht vor einer Reihe von Herausforderungen, die sowohl strukturell als auch operativ tief verwurzelt sind. Diese Herausforderungen betreffen nicht nur die Rekrutierung und Bindung von Fachkräften, sondern auch die Anpassung an den demografischen Wandel, den Umgang mit begrenzten Ressourcen und die Integration moderner Technologien, insbesondere der KI.
Eine der größten Herausforderungen ist der Fachkräftemangel. Der öffentliche Dienst steht in direkter Konkurrenz zur Privatwirtschaft, die oft attraktivere Gehälter und modernere Arbeitsbedingungen bieten kann. Die Gehälter im öffentlichen Dienst sind durch einheitliche Tarifverträge beziehungsweise die Beamtenbesoldung geregelt, Flexibilität bei der Anpassung an Marktbedingungen ist kaum möglich. Zudem wird das Image des öffentlichen Dienstes häufig als weniger dynamisch und innovationsfreudig wahrgenommen, was insbesondere jüngere Generationen abschreckt.
Der demografische Wandel stellt eine weitere Herausforderung dar. Die Babyboomer gehen in Rente und hinterlassen riesige Lücken, die nicht einfach zu füllen sind. Laut einer Prognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) werden bis 2035 rund sieben Millionen Arbeitskräfte in Deutschland fehlen. Das ist eine alarmierende Zahl, die den öffentlichen Sektor besonders betrifft. Ein erheblicher Teil der Beschäftigten im öffentlichen Dienst erreicht in den kommenden Jahren das Rentenalter. Die Folge ist ein erheblicher Wissensverlust. Gleichzeitig fällt es dem öffentlichen Sektor schwer, junge Talente zu gewinnen, was langfristig die Leistungsfähigkeit und Innovationskraft der öffentlichen Verwaltung gefährden könnte.
Die Verwaltungsstrukturen im öffentlichen Dienst sind genuin oft hierarchisch und bürokratisch, was die Einführung von Neuerungen und die Anpassung an sich verändernde Umstände erschwert. Diese Starrheit kann die Motivation und Flexibilität der Mitarbeitenden beeinträchtigen und innovative Ansätze im Keim ersticken. Zudem verlängern komplizierte Entscheidungsprozesse die Reaktionszeiten und beeinträchtigen die Effizienz. Die Neigung, alle Vorgänge zu 100 Prozent abzusichern – auch wenn ein vermeintlicher Fehler vielleicht nur alle paar Jahre auftritt – erstickt jede agile Weiterentwicklung im Keim.
Ein erfolgreiches Beispiel für die Überwindung starrer Strukturen ist das Projekt „GovLab Arnsberg“ in Nordrhein-Westfalen. Hier wurden experimentelle Teams gebildet, die unabhängig von den traditionellen Hierarchien arbeiten. Dadurch konnte die Einführung digitaler Bürgerservices erheblich beschleunigt werden.
Die Digitalisierung ist ein weiterer Bereich, in dem der öffentliche Sektor vor großen Herausforderungen steht. Während die Privatwirtschaft oft schnell auf neue technologische Entwicklungen reagiert, ist der öffentliche Dienst durch langwierige Entscheidungsprozesse und begrenzte Budgets gebremst. Es wird erst geprüft, bewertet und nichts Neues ausprobiert. Die Implementierung moderner IT-Systeme, die Nutzung dort, wo es Sinn macht und Prozesse erleichtert, sowie die Schulung der Mitarbeitenden im Umgang mit diesen Technologien sind entscheidend, um effizienter zu arbeiten und den Erwartungen der Bürger*innen gerecht zu werden. Gerade der demografische Faktor macht deutlich, dass ohne umfassende Nutzung von IT beziehungsweise von KI-Systemen der jetzige Bürgerservice nicht aufrechtzuerhalten ist.
Neben der Rekrutierung ist die Bindung von Mitarbeitenden eine große Herausforderung. Traditionell ist zwar die Fluktuation gering, trotzdem muss die öffentliche Hand neue Wege finden, um die Arbeitgeberattraktivität zu steigern. Dies könnte durch flexible Arbeitszeitmodelle, die Möglichkeit zum Homeoffice oder durch gezielte Weiterbildungsangebote geschehen. Auch die Förderung einer modernen Führungskultur, die auf Vertrauen und Eigenverantwortung setzt, könnte die Bindung an den Arbeitgeber stärken.
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Personalmanagements im öffentlichen Sektor ist die Förderung von Diversity und Inklusion. Der öffentliche Dienst sollte die Vielfalt der Gesellschaft widerspiegeln, die er bedient. Dies bedeutet nicht nur die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit, sondern auch die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund, aus unterschiedlichen Altersgruppen und von Menschen mit Behinderungen. Der Fortschritt in diesem Bereich ist oft schleppend, und es bedarf gezielter Maßnahmen, um wirkliche Chancengleichheit zu erreichen. Die Berliner Verwaltung hat mit ihrem Programm „Berlin braucht dich!“ eine Vorreiterrolle übernommen, um Menschen mit Migrationshintergrund für den öffentlichen Dienst zu gewinnen. Durch gezielte Ansprache und Schulungsangebote wurde die Diversität in den Behörden der Hauptstadt erheblich gesteigert.
Es ist höchste Zeit für eine Revolution im öffentlichen Sektor. Agile Methoden, die ursprünglich in der Softwareentwicklung entstanden sind, haben sich in vielen Bereichen bewährt. Sie ermöglichen es, flexibel auf Veränderungen zu reagieren. Für den öffentlichen Sektor bedeutet das, starre Hierarchien aufzubrechen und teamorientierte, projektbasierte Arbeitsweisen einzuführen. Sogenannte Flex-Teams, die dort eingesetzt werden, wo sie aktuell in der Behörde gebraucht werden, sind ein Schritt in die richtige Richtung. Flexible Arbeitszeitmodelle stehen dabei nicht im Widerspruch zur Erreichbarkeit für den Bürger – es ist eine Frage der Organisation und der Flexibilität.
Ein Beispiel für erfolgreiche Digitalisierung liefert Estland: Dort können 99 Prozent aller Behördengänge online erledigt werden, was jährlich etwa zwei Prozent des BIP an Kosten einspart. Um solche Erfolge zu replizieren, braucht es nicht nur technische Lösungen, sondern auch eine umfassende Schulung der Mitarbeiter*innen sowie die Anpassung der Arbeitsprozesse. Die KI ist nicht die Lösung aller Probleme, aber sie kann Aufgaben vereinfachen, denn vielfach sind es Routineprozesse, die den öffentlichen Dienst prägen. Wenn demnächst Arbeitsverträge digital geschlossen werden, dann gilt es auch zu überlegen, ob es in der Verwaltung noch wirklich überall der „Schriftform“ bedarf.
In Deutschland ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ein positives Beispiel für den Einsatz von KI zur Beschleunigung der Asylverfahren. Durch den Einsatz einer automatisierten Textanalyse-Software konnte die Bearbeitungszeit von Asylanträgen erheblich reduziert werden.
Der öffentliche Sektor muss auch im Bereich Talentmanagement und Employer Branding aufholen. Um junge Talente zu gewinnen und zu halten, müssen attraktive Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Flexible Arbeitszeiten, Homeoffice-Möglichkeiten und eine ausgewogene Work-Life-Balance sind heute keine Extras mehr, sondern Mindestanforderungen.
Die Stadt Frankfurt hat durch gezieltes Employer Branding und moderne Rekrutierungsmethoden ihre Attraktivität als Arbeitgeber deutlich gesteigert und zahlreiche junge Talente gewonnen. Erste Schritte in diesem Bereich sind getan, es gibt kaum mehr eine öffentliche Institution ohne Homeoffice, wenn auch dieses Angebot deutlich ausbaufähig ist.
Aber der öffentliche Dienst hat noch mehr zu bieten, nur macht er es selten deutlich: Inklusion und Barrierefreiheit, dienstliche Smartphones, Haustiere willkommen, betriebliches Gesundheitsmanagement, Dienstwagen und ‑fahrräder, Job-Ticket, Hilfe bei Wohnungssuche und Umzug, Ausgleich von Überstunden, eine Vielzahl von Teilzeitmodellen, Sonderurlaub bei Betreuungspflichten, finanzielle Anerkennung besonderer Leistungen.
Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg sind kontinuierliche Weiterbildung und lebenslanges Lernen. Der demografische Wandel und die fortschreitende Digitalisierung erfordern eine ständige Anpassung der Fähigkeiten und Kenntnisse der Mitarbeiter*innen. Hier gilt es zu investieren und die zum Teil umfangreichen Möglichkeiten der Fortbildungseinrichtungen des Staates zu nutzen, statt an dieser Stelle zu sparen.
Ein Beispiel ist die Bayerische Verwaltungsschule (BVS), die ein umfassendes Weiterbildungsprogramm anbietet, das von Führungskräften bis hin zu Fachkräften aus allen Bereichen des öffentlichen Dienstes genutzt wird. Durch gezielte Schulungen und Weiterbildungsangebote konnte das Kompetenzniveau in vielen Behörden erheblich gesteigert werden.
Die Herausforderungen im HR-Bereich des öffentlichen Sektors sind enorm, aber sie sind nicht unüberwindbar. Mit den richtigen Strategien und der Unterstützung kann der öffentliche Sektor nicht nur mit der Privatwirtschaft mithalten, sondern sogar eine Vorreiterrolle einnehmen. Es ist Zeit, verkrustete Strukturen aufzubrechen, die Digitalisierung voranzutreiben und den Wandel aktiv zu gestalten.
Der öffentliche Sektor hat das Potenzial, ein attraktiver und moderner Arbeitgeber zu sein – wenn er endlich den Mut aufbringt, alte Zöpfe abzuschneiden und neue Wege zu gehen. Mehr „Manager*innen“ und weniger Jurist*innen, beziehungsweise nur dort, wo juristische Expertise wirklich erforderlich ist – das ist notwendig, damit der öffentliche Sektor von erfolgreichen Digitalisierungs- und HR-Transformationsprojekten profitieren kann. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Bereitschaft zur Veränderung, der Nutzung moderner Technologien und der Implementierung agiler und flexibler Arbeitsmodelle.