Warum es Sinn in der Arbeit (nicht) braucht

202209

Das Credo, dass Arbeit sinnstiftend sein soll, ist mittlerweile eine Standardanforderung, der man in Diskussionen nur schwerlich etwas entgegensetzen kann. Von Unternehmen und HR-Abteilungen wird es schließlich als entscheidender Attraktivitätsfaktor im Ringen um die besten Bewerber:innen genannt. Aber welche praktische Bedeutung hat Sinnerleben bei der Arbeit? Was sagt uns die Wissenschaft dazu?

Von Benjamin Werner

Setzen wir uns mit Sinn und Sinnstiftung auseinandersetzt, landen wir unweigerlich auch bei Professorin Dr. Tatjana Schnell. Die Wissenschaftlerin beschäftigt sich seit Jahren dezidiert mit der Erforschung von Lebenssinn und dessen praktischer Bedeutung für Individuen, Organisationen und Gesellschaften.

Spricht Prof. Schnell von Sinnerfüllung, meint sie damit „die grundlegende Erfahrung, dass das eigene Leben sinnhaft und wertvoll ist, dass es sich lohnt, gelebt zu werden. Sinnerfüllung basiert auf einer (meist unbewussten) Bewertung des eigenen Lebens als kohärent, bedeutsam, orientiert und zugehörig.“ (1)

Was macht das Erleben von Sinnerfüllung mit uns?

Bereits 2013 stellten Bruno Damásio und Tatjana Schnell signifikante Korrelationen zwischen dem Grad der Sinnerfüllung und dem persönlichen Wohlbefinden mit Blick auf Lebenszufriedenheit, Optimismus, Zuversicht und subjektivem Glück her. (2)

Darüber hinaus erforschte das Forscherteam um Nathan A. Lewis 2016 den Zusammenhang zwischen Sinnerleben und kognitiver Leistungsfähigkeit von Erwachsenen. Im Rahmen einer Studie wurden bei 3.489 amerikanischen Teilnehmer:innen Sinnerleben sowie das episodische Gedächtnis, die exekutiven Funktionen und die übergreifende kognitive Funktionstüchtigkeit gemessen. (3)

Die Forschungsdaten zeigten, dass Menschen mit einem höheren Sinnerleben bessere Ergebnisse bei der Gedächtnisfähigkeit, Problemlösung, Entscheidungsfindung und Aufmerksamkeit aufwiesen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Erleben von Sinnerfüllung zur mentalen Gesundheit des Individuums beiträgt.

Haben diese Erkenntnisse auch eine praktische Relevanz für die Arbeitswelt?

Für die Gesundheit von Unternehmen ist es essenziell, dass die Mitarbeitenden Leistung erbringen, um die Prosperität und Lebensfähigkeit der Organisation zu gewährleisten. Verschiedene empirische Studien konnten bereits positive Zusammenhänge zwischen Arbeitsleistung und Arbeitsengagement aufzeigen. (4)

Um mögliche Wirkungsfaktoren auf ein hohes Arbeitsengagement zu identifizieren, erforschten Dr. Thomas Höge und Prof. Schnell den Zusammenhang zwischen Arbeitsengagement und dem Sinnerleben am Arbeitsplatz. Im Rahmen ihrer Studie maßen sie anhand der Utrecht Work Engagement Scale das Arbeitsengagement ihrer Proband:innen sowie die Sinnerfüllung mithilfe des Fragebogens zu Lebensbedeutungen und Lebenssinn. Die Daten wiesen eine ausgesprochen hohe Korrelation (r =.81; p < .01) auf, was bedeutet, dass „der Zustand des Arbeitsengagements eng an die kognitive Bewertung der Tätigkeit als sinnerfüllend gekoppelt ist“. (4)

Sinnerleben wirkt sich also positiv auf Arbeitsengagement und damit auch auf die Arbeitsleistung sowie indirekt auf die Gesundheit einer Organisation aus.

Diese Erkenntnis ist zudem vor dem Hintergrund der aktuellen New Work-Diskussion interessant. Sinn ist eine wesentliche Komponente für das Erleben von psychologischem Empowerment. Eine Metaanalyse der Central Michigan University konnte die positiven Effekte des Empowerment-orientierten Führungsstils auf die Leistung von Organisationen aufzeigen. (5) (6)

Sollten Organisationen vor dem Hintergrund dieser positiven Effekte also alles daransetzen, bei Mitarbeitenden ein Gefühl der Sinnerfüllung zu erzeugen? Hierzu äußert sich Prof. Schnell kritisch: „Mitarbeiter sind sich des Unterschieds zwischen authentischen Werten und moralischem Handeln auf der einen Seite und Versuchen, andere zu kontrollieren oder zu manipulieren sehr wohl bewusst. Wenn Angestellte wahrnehmen, dass der Arbeitgeber die berufliche Sinnerfüllung zu manipulieren sucht, um Leistung und Produktivität zu steigern, dann führt dies oft zu schmerzhaften Konsequenzen“. (1)

Sinnerleben im Beruf kommt also eine ebenso wichtige Bedeutung wie im Privatleben zu und Unternehmen sind gut beraten, sich immer wieder Zeit dafür zu nehmen, den Beitrag des Einzelnen in den Bedeutungskontext der Organisation einzuordnen und hervorzuheben. Aber den „guten Zweck“ einer Sache zu instrumentalisieren, um beispielsweise über schlechte Arbeitsbedingungen hinwegzutäuschen, wie dies zum Teil aus der Pflegebranche oder sozialen Berufen berichtet wird, ist für beide Seiten ein Verliererspiel.

Quellen