Lieber (nicht) den Mund aufmachen? Warum Mitarbeitende ihre Ideen zurückhalten

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Teams erzielen besonders gute Leistungen, wenn alle Mitglieder ihre Ideen, Perspektiven oder Bedenken einbringen. Häufig behalten Menschen jedoch relevante Informationen und Beobachtungen für sich. Wovon hängt es ab, ob Mitarbeitende Probleme oder Vorschläge kommunizieren und welche Konsequenzen hat das für sie?

Von Dr. Franziska Schölmerich

Im Kontext von New Work werden Menschen dazu ermutigt, ihre Fehler bei Fuck Up Nights zu feiern, sich über Hierarchiegrenzen hinweg im Sinne von Radical Honesty ehrlich die Meinung zu sagen und unter Berücksichtigung der Bedürfnisse von Nutzern und Nutzerinnen ständig den Status Quo zu hinterfragen sowie zu optimieren. Dennoch gibt es unzählige Beispiele von Krisen und Katastrophen, die dadurch ausgelöst wurden, dass Mitarbeitende erst viel zu spät (oder gar nicht) auf Fehler, Probleme oder die Beobachtung von illegalen oder unethischen Aktivitäten aufmerksam gemacht haben. Wann entscheiden Menschen sich dafür, ihre Ideen oder Bedenken einzubringen und wann halten sie diese bewusst zurück?

Employee voice behavior beugt Krisen vor

Mit dieser Frage beschäftigt sich die Forschung zu employee voice behavior. Damit ist die Kommunikation von Vorschlägen oder Kritik an Personen, die Verbesserungen der Situation herbeiführen könnten, gemeint (Morrison, 2014). Die Intention hinter der Kommunikation ist konstruktiv mit dem Ziel, den Status Quo zu ändern. Employee voice behavior wirkt sich positiv auf Prozesse und Effektivität in Organisationen und Teams aus und beugt Krisen vor. Menschen, die aktiv ihre Ideen und Verbesserungsvorschläge einbringen, werden als innovativer wahrgenommen und machen schneller Karrierefortschritte. Dennoch kommt es häufig vor, dass Mitarbeitende unangemessene Aktivitäten, Möglichkeiten zur Verbesserung oder ineffektive Prozesse sehen, aber relevante Informationen zurückhalten oder ihre Beobachtungen nicht mit Personen teilen, die an diesen Zuständen etwas ändern könnten (Detert & Edmondson, 2011). Darunter leiden die Entscheidungsqualität, Arbeitsmoral und Leistungsfähigkeit von Teams.

Bedenken äußern oder Verbesserungsvorschläge machen?

Studien zeigen, dass Menschen Vorschläge oder Beobachtungen mit relevanten Personen teilen je nachdem, ob sie die Kommunikation als wirksam und sicher empfinden (Morrison, 2014). Sie behalten ihre Ideen eher für sich, wenn sie den Eindruck haben, dass sie ohnehin nicht zu der gewünschten Veränderung führen würden oder ihre Kommunikation einen negativen Effekt für sie oder andere haben könnte. Laut einer aktuelle Metastudie sind diese Bedenken nicht ganz unbegründet (Chamberlin, Newton & Lepine, 2017). Die ForscherInnen unterschieden dabei zwischen promotive voice behavior (das heißt, die Kommunikation von Vorschlägen und Möglichkeiten, um die Organisation zu verbessern) und prohibitive voice behavior (das heißt, die Kommunikation von Bedenken und Problemen, um negative Konsequenzen für die Organisation abzuwenden). Die Analyse von 25 Studien zeigte, dass die Leistung von Menschen mit ausgeprägtem promotive voice behavior positiv beurteilt wurde, während Menschen mit ausgeprägtem prohibitive voice behavior negative Leistungsbeurteilungen erhielten. Mitarbeitende wurden also dafür belohnt, wenn sie Ideen zur Verbesserung einbrachten und bestraft, wenn sie Schaden verhindern wollten.

Mitarbeitende richten ihre Hinweise in Bezug auf Probleme oft an Führungskräfte, da diese am ehesten etwas an der Situation verändern können. Anstatt solche Anmerkungen von Mitarbeitenden wertzuschätzen und die Probleme zu beseitigen, reagieren Führungskräfte oft defensiv oder nehmen Hinweise nicht ernst. Grund dafür ist, dass besonders die Kommunikation von Problemen, Schwachstellen und unangemessenen Aktivitäten auf andere bedrohlich wirkt, negative Emotionen hervorruft und zwischenmenschliche Beziehungen strapaziert (Morrison, 2014). So werden Mitarbeitende schnell als Nörgler oder Störenfriede abgestempelt. Zudem ist vielen Führungskräften nicht bewusst, dass Mitarbeitende möglicherweise relevante Informationen oder Beobachtungen nicht kommunizieren, weil sie Unbehagen bei der Kommunikation mit ihnen verspüren. Führungskräfte überschätzen häufig ihre Kompetenzen und die Qualität ihrer Entscheidungen und fragen ihr Team daher nicht nach Eindrücken oder Vorschlägen (Ashford et al., 2009).

Ansatzpunkte für Führungskräfte, damit Mitarbeitende sich mitteilen

Besonders in stark hierarchischen Arbeitsumfeldern sind Glaubenssätze wie „Bloß keine Fehler zugeben“ oder „Lieber nichts am Status Quo ändern“ häufig noch stark in den Köpfen der Menschen verankert. Führungskräfte sollten daher aktiv gegen die Tendenz von Mitarbeitenden, unangenehme Informationen zurückzuhalten, ankämpfen. Die Metastudie zeigt einige Ansatzpunkte auf, die Führungskräften dabei helfen, Teams zu gestalten, in denen alle Mitglieder ihre Ideen und Bedenken einbringen (Chamberlin et al., 2017):

  • Menschen einstellen, die aktiv und selbstständig an Aufgaben herangehen und sie erleben lassen, dass sie mit ihren Kompetenzen einen positiven Beitrag leisten
  • Verantwortung an Mitarbeitende übertragen und ihnen Autonomie gewähren
  • Kontinuierlich an der Qualität der individuellen Beziehungen zu den Mitarbeitenden arbeiten
  • Offenheit und Interesse für die Vorschläge von Mitarbeitenden signalisieren
  • Perspektiven und Bedenken der Mitarbeitenden aktiv einfordern und wertschätzen
  • Eigenes Verhalten kritisch hinterfragen, Fehler eingestehen und den Wert von Veränderungen im Status Quo anerkennen
  • Psychologische Sicherheit im Team steigern (das heißt, ein Klima etablieren, in dem Menschen Vorschläge und Bedenken einbringen können, ohne Angst vor negativen Konsequenzen haben zu müssen)

Darüber hinaus sind natürlich auch Mitarbeitende dazu aufgerufen, relevante Vorschläge und Bedenken eigenverantwortlich stärker zu kommunizieren. Um dadurch keine schlechtere Leistungsbewertung zu erhalten, sollten sie Probleme immer zusammen mit konstruktiven Lösungsvorschlägen einbringen, ihre Unterstützung bei dem Umgang mit einem Problem signalisieren und es vermeiden, andere direkt anzugreifen.

Quellen: