Extraversion ist (k)eine Voraussetzung für wirksame Führung

Zahlreiche Studien besagen, dass Extraversion eine Voraussetzung für wirksame Führung ist. So gelten extravertierte Führungskräfte als präsenter und effektiver (Judge, Bono, Ilies & Gerhardt, 2002). Dies mag daran liegen, dass Extravertierte von anderen stärker als typische Führungskraft wahrgenommen werden mit den Attributen Selbstbewusstsein, sicherer Auftritt und Dominanz. Dies führt wiederum dazu, dass ihnen andere mehr Kompetenzen zusprechen, sie damit mehr Einfluss und einen höheren Status innerhalb von Gruppen gewinnen können (Anderson, C., & Kilduff, G. J. 2009).

Das Intro- und Extravertierte anders ticken, kann die Hirnforschung belegen. Der Unterschied liegt in der Verarbeitung von sozialen Reizen, was dazu führt, dass Extrovertierte den Austausch mit anderen brauchen und eher nach außen gewandt sind. Introvertierte sind mehr nach innen gewandt und brauchen Ruhe, um Energie zu tanken.

Doch welchen Einfluss hat dieser Unterschied auf die Effektivität von Führung? Im Gegensatz zu der weitverbreiteten Ansicht, dass es eine enge Verbindung zwischen Extraversion und Führungserfolg gibt, zeigt eine aktuelle Studie, dass introvertierte Führungskräfte erfolgreicher als extravertierte sein können, wenn sie ein Team aus eigenständigen und proaktiven Mitgliedern führen.

Adam Grant, Professor der Wharton University und Kollegen untersuchten die tatsächlichen Produktivitätsunterschiede zwischen Teams extravertierter und introvertierter Führungskräfte (Grant, Gino & Hofmann, 2011). Wie sich herausstellte, ist die allgemeine Annahme, dass Extraversion eine wichtige Führungseigenschaft ist, nur bedingt gerechtfertigt. In zwei Untersuchungsbedingungen zeigte sich, dass passive Teams unter extravertierter Führung produktiver Arbeiten. Proaktive Teams hingegen konnten mit introvertierten Führungskräften ihre Produktivität steigern. Grant et al. erklären die Befunde damit, dass introvertierte Führungskräfte sich eher zurückhalten und Raum für kreative Vorschläge der proaktiven Mitarbeiter lassen. Ihre extravertierten Kollegen hingegen setzen stärker die eigenen Ansichten durch und drücken somit den Lösungswegen ihren eigenen Stempel auf – Kreativitätsprozessen im Team kann dieses Verhalten im Weg stehen.

Eine der Untersuchungsbedingungen von Adam Grant und Kollegen umfasste mehrere Teams, die von einer Person in der Rolle der Führungskraft beauftragt wurden möglichst viele T-Shirts innerhalb von zehn Minuten zu falten. Proaktive Teams brachten Vorschläge ein, diese Aufgabe auf kreative Weise zu erfüllen. Passive Teams hielten sich stärker an die Vorgaben der Führungsperson. Es zeigte sich, dass die passiven Teams bessere Leistungen unter der Anleitung einer extravertierten Führungskraft erbrachten, während proaktive Teams die besten Ergebnisse in Kombination mit einer introvertierten Führung erzielten.

Auch wenn die Studie methodische Fragen aufwirft – Was sagt das Falten von T-Shirts über die Performance von Teams in einer komplexen Umwelt? – liegt es nahe, den Wert von introvertierten Mitarbeitern nicht zu unterschätzen. Auch die „Stillen“ sollten für Führungspositionen in Betracht gezogen und diese durch dezidierte Personalentwicklungsmaßnahmen gefördert werden. Dabei scheint der Passung Führungskraft und Team, eine bedeutsame Rolle zu zukommen. Im Zeitalter des Innovationsdrucks und der unternehmens- sowie länderübergreifenden Zusammenarbeit werden proaktive Mitarbeiter benötigt. Eigenständigkeit, Initiative und Selbstorganisation sind gefragt und werden im Hinblick auf den sich vollziehenden Wertewandel zunehmend eingefordert.

Quellen