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Wenn das Business agil ist, muss HR es auch sein, sonst wird es irrelevant. Ganzheitlichkeit, Kundenfokussierung und Flexibilität zeichnen ein solches Personalmanagement aus – und es muss bereit sein, die Transformation voranzubringen.

Von Jan C. Weilbacher

Man mag es für ein Buzzword halten, doch es gibt wenige Begriff, die die notwendige Veränderung von HR besser auf den Punkt bringen als „Agile HR“. Die Arbeits- und Wirtschaftswelt wandelt sich dramatisch: die Art wie wir zusammenarbeiten, wie Wertschöpfung passiert, wie Produkte und Innovation entstehen. Und wenn sich das Personalmanagement als wichtiger Akteur für den Geschäftserfolg sieht, kann es nicht mehr HR-Arbeit aus den 80ern machen.

Doch was soll das eigentlich sein, Agile HR? Den populären Begriff der Agilität gibt es in verschiedenen Ausprägungen. Vereinfacht kann man sagen: Agilität bezieht sich meist auf ein System, wie eine Organisation, und bezeichnet seine Bereitschaft und Fähigkeit sich an verändernde Bedingungen anpassen zu können und dabei kontinuierlich zu lernen und sich zu entwickeln. Unternehmen müssen heute zunehmend auf Sicht fahren, weil lange Planungszyklen und lange Entscheidungswege aufgrund der Dynamik der Märkte nicht mehr angemessen sind. Stattdessen wird es für Organisationen ein immer wichtiger werdender Erfolgsparameter, schnell entscheiden zu können und damit Beweglichkeit an den Tag zu legen.

Organisationsentwicklung und die Arbeit an der Kultur

Das Personalmanagement hat die Aufgabe, eine solche Entwicklung der Organisation zu unterstützen. Dazu könnte zum Beispiel eine Personalentwicklung gehören, die die Eigenverantwortung sowie Veränderungsfähigkeit und -bereitschaft der Mitarbeiter in den Fokus nimmt. Eine monokausale Herangehensweise ist dabei allerdings zu wenig. Trainings mögen dabei ein Baustein sein, doch ebenso ist das notwendige Verhalten von Mitarbeitern eine Frage von Führung und Kultur. Und dann spielen noch Organisationsstrukturen eine Rolle – und einiges andere. Agile HR ist – und das wäre eine erste Antwort – ein Personalmanagement, das Probleme und Herausforderungen grundsätzlich ganzheitlich betrachtet. Denn Personal- und Führungskräfteentwicklung ohne Organisationsentwicklung ist witzlos. Deshalb kann sich Agile HR in einem Unternehmen – auch wenn es noch so klein ist – nicht auf eine oder zwei Funktionen wie zum Beispiel Recruiting und Arbeitsrecht zurückziehen. Agile HR versteht sich immer auch als Organisationsentwickler und Kulturgestalter.

Klar schreibt sich heute jedes Unternehmen Agilität auf die Fahnen. Doch gibt es tatsächlich Firmen, die es sind, die zügig mit ihren Produkten am Markt sind, die sich als Organisation schnell anpassen können an Umweltveränderungen, die sich am Kunden und seinen Bedürfnissen ausrichten und die immer wieder bereit sind, als Organisation zu lernen. Und wenn das Business tatsächlich agil ist, muss HR es auch sein, sonst wird es irrelevant. Wobei der erste notwendige Schritt der Veränderung wäre, alle Richtlinien und Prozesse auf den Prüfstand zu stellen, denn oftmals ist HR eher Verhinderer von Agilität und Vernetzung.

Agiles Führen ist eine dynamische Haltung

Bei der Frage, was Agilität ist, hilft es zwischen Haltung und Werten, Prinzipien sowie Methoden und Instrumenten zu unterscheiden. Die Anpassungsfähigkeit einer Organisation hat nämlich zuerst ganz viel mit dem herrschenden Mindset zu tun. So schreibt Svenja Hofert in ihrem Buch „Agiler Führen“: „Agiles Führen ist eine dynamische Haltung, ein Mindset, das Veränderung als Dauerzustand begreift. Agile Führungskräfte sind beweglich, flexibel und fähig zur Transformation von Menschen, Teams und Prozessen. (…) Agile Führungskräfte handeln prozess- und zielorientiert und fördern die Selbstorganisation von Gruppen durch permanente Teamentwicklung. Ziel ist die Förderung von Selbstverantwortung und Kreativität.“

Schaut man sich die unterschiedlichen agilen Frameworks zur Produktentwicklung wie Scrum an, wo Agilität ihren Ursprung hat, lassen sich Werte ausmachen, an denen sich eine entsprechende Personalarbeit orientieren kann oder muss: die Zusammenarbeit mit dem Kunden, der im Zentrum steht zum Beispiel oder das Reagieren auf veränderte Bedingungen statt stur einem Plan zu folgen.

Werte, Prinzipien, Instrumente

Zu den agilen Prinzipien gehört unter anderem Eigenverantwortung. Gleichzeitig rückt das Team als wichtigste Einheit für Wertschöpfung in den Fokus. Im Scrum arbeitet das Entwickler-Team selbstorganisiert, nachdem klar ist, was im jeweiligen Sprint abgearbeitet werden muss. Das Arbeiten in Iterationen ist ein weiteres wichtiges Prinzip. Zu Beginn werden die wesentlichen Funktionalitäten festgelegt und danach in jedem Sprint inkrementell weiterentwickelt. Nach einem Entwicklungszyklus findet Reflexion in Reviews sowie Retrospektiven durch das Team statt und wird das Feedback des Kunden eingebunden. Es ist also ein Entwicklungsprozess bei dem der Kunde immer wieder Zwischenergebnisse sieht. Was dieser wirklich braucht, ist die wichtigste Frage.

Scrum war anfangs eine reine IT-Sache und ist in den vergangenen Jahren auf andere Unternehmensbereiche übergegangen. In mehr und mehr Organisationen kann man beobachten, dass sich Teams interdisziplinär zusammensetzen. Interdisziplinarität und Iteration sind beispielsweise auch für die agile Methode des Design Thinking entscheidende Prinzipien.

Die genannten Elemente lassen sich auch auf ein agiles HR übertragen. Vier Prinzipien sehe ich als besonders wichtig an:

  • Kundenfokussierung: Es muss klar sein, dass ein Produkt, Programm oder Prozess für irgendjemanden gemacht wird, der ein Bedürfnis oder Problem hat. Und dieser jemand ist nicht die Personalabteilung. HR wird nicht für HR gemacht. Es gilt also, sich weniger damit zu beschäftigen was man bzw. der Personalbereich glaubt, als sich vielmehr zu fragen: Welches Problem (des Business) gilt es zu lösen?
  • Iteratives Arbeiten: Es gilt heutzutage auf Sicht zu fahren – für das Business und ebenso für HR. Das heißt, wie das Produkt am Ende aussehen wird, das entstehen soll, steht am Anfang noch nicht fest. Die Produktentwicklung vollzieht sich in iterativen Schleifen, indem immer wieder das Gespräch gesucht und Feedback geholt wird.
  • Flexibilität: In der heutigen schnelllebeigen Welt ist nichts in Stein gemeißelt. Prozesse und Programme müssen heute flexibel und schnell veränderbar sein. Und es braucht eine weitgehende Anpassung an individuelle Bedürfnisse.
  • Rolle als Enabler und Berater: HR darf nur diejenige Personalarbeit machen, bei dem es wirklich einen Mehrwert bietet und nicht, weil es schon immer so war. Viele Bereiche, die vormals von Personalern verantwortet wurden, können besser von den Mitarbeitern selbst übernommen werden: weil sie näher dran sind am (Markt)Geschehen oder sie schlicht selbst am besten wissen, welches Bedürfnis sie haben, so wie zum Beispiel in Sachen Lernen. HR wird stärker zum Berater und fördert die Selbstverantwortung der Mitarbeiter – auch in Sachen Personalarbeit. Dennoch kann HR die Verantwortung für den jeweiligen Prozess übernehmen, wie zum Beispiel im Recruiting, und Mitarbeiter sowie Teams dazu befähigen, selbst weitgehend die Personalauswahl zu betreiben. HR leistet so Hilfe zur Selbsthilfe und kümmert sich darum, dass das Recruiting gut über die Bühne geht. HR hilft anderen zu wachsen.

Nun könnte man sagen, das hört sich alles stark nach einer Personalarbeit an, die sich an der Employee Experience ausrichtet.

Und natürlich ist die Geisteshaltung von Agile HR der des Employee Experience Design (EED) sehr ähnlich. Doch bei einem agilen Personalmanagement kommt noch stärker die Rolle des Transformators hinzu. Eine Personalarbeit, die sich auch danach richtet, die Organisation und ihre Mitarbeiter agiler zu machen. Die sich also nicht nur nach Bedürfnissen der Mitarbeiter richtet, sondern es sich ebenfalls zur Aufgabe gemacht hat, Wandel zu gestalten.  Zum Beispiel eine Unternehmenskultur zu fördern, die Zusammenarbeit über Hierarchie- und Bereichsgrenzen nicht nur zulässt, sondern als Bereicherung begreift. Dazu gehört ebenso, dass agile Kompetenzen und ein agiles Mindset ins Unternehmen geholt und dort stärker gelebt werden.

OKR als agiles Konzept

Agile HR setzt sich für mehr Eigenverantwortung der Mitarbeiter, Selbstorganisation von Teams und Vernetzung von Bereichen ein – aus Überzeugung (und im besten Falle im Auftrag der Unternehmensführung). Und wie oben erwähnt, ist das eine Arbeit auf mehreren Ebenen. Und ein wichtiger Bereich ist die Führung im Unternehmen, die zukünftig mehr Freiraum zulassen soll. Hierzu mit den Führungskräften zu arbeiten, ist Sache des Personalmanagements. In der agilen Welt bekommen Führungskräfte eine völlig neue Rolle, die viel mit Selbstlosigkeit zu tun hat, schließlich gilt es, die eigenen Mitarbeiter stark zu machen und ihnen Freiraum zu geben, damit diese wachsen. Das gefällt nicht jeder Führungskraft. Das ist aber vor allem eine Frage des angesprochenen Mindsets. Genauso müssen sich Prozesse und Führungsinstrumente wie das klassische Mitarbeitergespräch ändern, das oftmals zu starr ist und in dem sich zu wenig auf das Lernen als vielmehr auf Beurteillungen und womöglich Gehaltsverhandlungen fokussiert wird.

Einem agilen HR würde zum Beispiel entsprechen, wenn:

  • das Gespräch statt einmal im Jahr einmal im Quartal oder jeden Monat stattfindet
  • Ziele flexibel innerhalb eines Jahres angepasst werden können
  • Feedback-Dialog und die Entwicklung des Mitarbeiters in den Fokus rücken
  • Das Feedback von Kollegen – und nicht nur der Führungskraft – zur Geltung kommt
  • individuelle Ziele und variable Vergütung entkoppelt werden
  • kollektive Ziele eine größere Rolle spielen
  • dem Gespräch die Annahme zugrundeliegt, dass Menschen grundsätzlich zur intrinsischen Motivation in der Lage sind.

In diesem Kontext ist das Konzept der OKR (Objectives and Key Resultats) eine interessante Alternative, die von Personalmanagern in einem agilen Umfeld vorangetrieben wird. Dabei werden jedem Ziel, das man sich vornimmt, drei bis vier Schlüsselergebnisse zugeordnet, die das Ganze operationalisierbar machen. OKRs werden auf der Unternehmens-, Team- und Individualebene einmal im Quartal festgelegt. Die OKR auf der Unternehmensebene zeigen jedem, wohin sich die Firma entwickeln soll und auf dieser Basis setzt der Mitarbeiter bzw. verhandelt das Team seine Ziele. Jeder fragt sich, wie er oder sie in seinem Wirkungskreis am besten zum Gesamterfolg beitragen kann. Die jeweiligen Ziele sind für alle transparent und inwieweit sie erreicht wurden, dient nicht als unmittelbare Grundlage der Performance-Beurteilung.

Neben den kurzen Zyklen ist die Transparenz der große Vorteil der OKR, weil sie zur Kommunikation und damit zum Lernen einladen. Darum geht es nämlich sehr stark in einer agilen Organisation – und diese mit Leben zu füllen ist der Auftrag für Agile HR.

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