Kreativität ist (nicht) des Partners Tod

Es gibt ein altes englisches Sprichwort, welches besagt, dass Neugier der Katze Tod sei, aber Zufriedenheit sie wieder zum Leben erweckt. Dieses Sprichwort bezieht sich auf die Gefahren von Nachforschungen oder Experimenten, deutet gleichzeitig aber auch an, dass dieses Risiko zur Wiederauferstehung der Katze führt, da diese sich nach dem Auskundschaften zufrieden fühlt. Nun wissen wir nicht, ob eine Katze jemals wiederauferstanden ist. Was wir jedoch dank einer aktuellen Studie von Harrison und Wagner (2016) wissen, ist, dass kreatives Verhalten bei der Arbeit zu Lasten des Lebens zu Hause in dem Sinne geht, dass der Partner weniger Zeit und Zuwendung erhält.

In der heutigen, innovationshungrigen Geschäftswelt wird Kreativität als positiv gesehen – sowohl für die Organisation, welche von neuen Ideen profitiert, als auch für das kreative Individuum, weil sie beispielsweise seinen Status verbessert. Dennoch kann Kreativität auch nachgelagerte Effekte haben, welche augenscheinlicher werden, wenn man über den Tellerrand der begrenzten Arbeitswelt hinausblickt und unter anderem auch das soziale Umfeld in Augenschein nimmt.

Es ist allgemein bekannt, dass Kreativität ein Produkt sozialer Kräfte ist. Zwischenmenschliche Beziehungen sind wichtig für Verhaltensweisen, die Kreativität hervorbringen. Sie regen das Individuum an, sich neue Ideen einfallen zu lassen und geben ihm eine Grundlage, um diese Ideen zu bewerten. Die soziopsychologische Unterstützung, die Individuen erhalten, helfen ihnen, bei dem Nachgehen explorativer Aktivitäten ausdauernd zu agieren. Dies trifft nicht nur auf berufliche Beziehungen zu. Auch die Unterstützung von zu Hause und von der Familie tragen erheblich zur Kreativität von Arbeitnehmern bei. Aber wie verhält es sich im umgekehrten Zusammenhang?

Harrison und Wagner fanden bei der Ausarbeitung früherer Studien von Policastro und Gardner (1998) heraus, dass Kreativarbeit die kognitiven Ressourcen in Anspruch nehmen könnte, welche für Beziehungen essenziell sind. Man könnte sogar einen Schritt weitergehen und sagen, dass kreatives Verhalten am Arbeitsplatz Ressourcen verbraucht und dass das Individuum dann das Bedürfnis verspürt, diese zu Hause wiederherzustellen.

Um zu verstehen, wie Kreativität partnerschaftliche Beziehungen beeinflussen könnte, haben Harrison und Wagner für ihre Studie die Erkenntnisse der Ressourcenallokations-Theorie und der Theorie über den Konflikt zwischen Arbeit und Familie einbezogen. Um das Konzept der Kreativität besser zu verstehen, haben sie sich der Idee von Campbell (1960) bedient, welche zwischen Varianz-fokussiertem und Selektions-fokussiertem Kreativverhalten differenziert: “… jede Form von Kreativität ist ein Ergebnis von Verhaltensweisen, welche Variationen erzeugen, gefolgt von Verhaltensweisen, welche gezielt die Lösungen beibehalten, welche am anpassungsfähigsten sind” (S. 843). Varianz-fokussiertes Verhalten kann man als Aktivitäten wie Problemidentifikation, Informationssuche und Ideenfindung konzeptualisieren während Selektions-fokussiertes Verhalten sich im wesentlichen auf den Begriff der Ideenvalidierung bezieht “wobei Individuen ihre Arbeitskollegen um Feedback über die entstandenen Ideen bitten, welches dazu führt, dass einige Ideenfindungen aussortiert werden und ein größerer Fokus auf andere gelegt wird” (S.844).

Bezugnehmend auf die Studien von Simon (1995) argumentieren Harrison und Wagner, dass mehr kognitive Ressourcen durch Varianz-fokussiertes Verhalten verbraucht werden, d.h. durch die Entdeckung und Generierung von Ideen und Alternativen, und nicht durch eine Selektion von ihnen. Noch wichtiger ist, dass die mentale Beschäftigung mit diesen kognitiven Herausforderungen nicht aufhört, wenn das Individuum den Arbeitsplatz verlässt: “das heimtückischste Ergebnis ist, dass man sich geistig weiterhin mit der Arbeit beschäftigt, sodass ein herausforderndes Problem oder eine ganze Reihe an Problemen den Arbeitnehmer nicht zur Ruhe kommen lassen. Dies führt zu dazu, dass Arbeitnehmer den ganzen Abend über distanziert sind, obwohl sie es vielleicht sogar rechtzeitig zum Abendessen nach Hause geschafft haben” (S.844).

Dies steht im starken Kontrast zu dem Einfluss, welches Selektions-fokussiertes Verhalten auf den Verbrauch von kognitiven Ressourcen hat. Hier argumentieren Harrison und Wagner, dass das Wesen solcher Aktivitäten, d.h. das Abgrenzen von Alternativen und Möglichkeiten als Ergebnis der Beendigung des kreativen Prozesses, die kreativen Arbeiter besser darin befähigt, sich von ihrer Arbeit loszulösen, sodass sie mehr kognitive Ressourcen zu Hause für den Partner aufwenden können.

In ihrer Studie konnten sie bestätigen, dass Varianz-fokussiertes Kreativverhalten, welches zu der Entwicklung neuer Ideen am Arbeitsplatz führt, “negative Auswirkungen auf die Menge der produktiven Zeit hat, die Arbeiter mit ihren Partnern nach der Arbeit verbringen, weil bereits viele kognitive Ressourcen aufgebraucht wurden und somit nur wenige für zu Hause übrig geblieben sind” (S. 842). Im Gegensatz dazu haben Selektions-fokussierte Verhaltensweisen, wie beispielsweise Ideenvalidierung oder das Einholen von Feedback von anderen zu einer kreativen Idee “positive Effekte auf die Verteilung von Zeitressourcen für partnerschaftliche Beziehungen zu Hause am selben Tag hat, weil es die Individuen befähigt, die Arbeit Arbeit sein zu lassen” (S. 842).

Interessanterweise treffen diese Erkenntnisse nicht nur auf die Zeitmenge zu, die Individuen mit ihren Partnern verbringen können, sondern auch auf die Qualität der Interaktionen zwischen den Partnern. Studien über Theorien des Konfliktes zwischen Arbeit und Familie lassen vermuten, dass Arbeitnehmer, die in Varianz-fokussierte Aktivitäten involviert sind, “weniger Ressourcen verfügbar haben, die ihnen dabei helfen könnten, negativen Affekte entgegenzuwirken, die dem Partner an diesem Tag widerfahren sein könnten” (S. 845). In anderen Worten erleben die Partner von diesen Arbeitnehmern negative Affekte auf einem höheren Niveau am Abend, weil sie nicht die Unterstützung von ihrem Partner erhalten, die sie sich erhoffen oder brauchen. Dies trifft nicht auf Partner von den Arbeitnehmern zu, die ihre Arbeit im Büro lassen, nachdem ein kreativer Prozess beendet wurde, in dem ihre Ideen selektiert oder Alternativen eingegrenzt wurden. Weil diese Arbeitnehmer über eine größere kognitive Kapazität verfügen wenn sie nach Hause kommen, “wird die Qualität des Zusammenseins mit deren Partnern so gut sein, dass sie hilft, den affektiven Druck des Partners zu lindern” (S. 845).

Neben den Erkenntnissen über den Einfluss kreativer Aktivitäten auf Zeit und Qualität zu Hause waren Harrison und Wagner außerdem in der Lage, einen Beweis für den Zusammenhang zwischen der Offenheit des Individuums gegenüber Erfahrungen, ihrem Einfluss auf das kreative Verhalten und schließlich auch auf die Art und Weise, wie sich ein Arbeitnehmer Zeit mit dem Partner nimmt, zu finden. Die Offenheit für Erfahrungen ist eine Persönlichkeitsdimension, welche dem Individuum mehr Vielfalt ermöglicht. Somit werden bei Varianz-fokussierten Verhalten die kognitiven Ressourcen eines Arbeitnehmers noch stärker verbraucht, während Selektions-fokussierte Aktivitäten weniger Ressourcen aufbrauchen, weil “Arbeitnehmer, die eine große Offenheit gegenüber Erfahrungen haben, besonders empfänglich für das Feedback sind, wenn sie ihre Ideen testen. Dies ermöglicht es ihnen, mehr Wege zur Ideenrestriktion in Betracht zu ziehen und dabei die Anzahl von Entwicklungsmöglichkeiten einzugrenzen” (S. 846).

Was sind die Auswirklungen von Harrisons und Wagners Studie? Zieht man die Wichtigkeit von Innovation in der heutigen Geschäftswelt in Betracht, dann sind Manager gut beraten die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass sie Arbeitnehmern bei der Anregung und dem Erhalt von Kreativität helfen. Wie die Studie zeigt, ist “das anspruchsvolle Wesen der Kreativarbeit nicht nur auf die Arbeit beschränkt sondern reicht auch über ihre Grenzen hinaus” (S. 853). Das bedeutet, dass sowohl Arbeiter als auch Manager bedachter sein können, warum und wann sie sich welcher Art von Kreativverhalten widmen. Beispielsweise hilft es Arbeitnehmern, den Tag mit Kreativaktivitäten zur Ideenvalidierung zu beenden, um die kognitive Resourcen für den Abend zu schonen. Zusätzlich kann die Intensität des Kreativprozesses in einzelnen Phasen variieren. Gemäß Yuan und Zhous Schlussfolgerungen “tendieren Arbeiter dazu, mehr auf Varianz-fokussiertes Verhalten in der Anfangsphase von Kreativarbeit und auf Selektions-fokussiertes Verhalten in der Schlussphase zu vertrauen” (2008). Manager, die sich bewusst darüber sind, wie sich das kognitive Arbeitspensum verändert abhängig von dem Typ des Kreativverhaltens, können Arbeitnehmern dabei helfen, bewusster mit dem Wechsel zwischen Arbeitsplatz und zu Hause während ressourcenintensiver Projekte umzugehen.

Quellen