Es ist (nicht) immer Liebe auf den ersten Blick

In ihrem Buch „The War for Talent“ beschrieben Michaels, Handfield-Jones & Axelrod vor mehr als einer Dekade einen zunehmend kompetitiven Rekrutierungsmarkt. Seitdem betreiben Organisationen ihre Personalbeschaffung mit beträchtlichem Aufwand. Forscher bestärken die Praktiker in dieser Auffassung. Sie belegen, dass Maßnahmen die organisationale Fähigkeiten steigern, zu denen auch die Rekrutierung gehört, einen positiven Einfluss auf das Humankapital eines Unternehmens haben (vgl. BION 06.2013). Demzufolge ist eine Organisation gut beraten, ihre Personalbeschaffung effektiv zu managen, wenn sie im Markt erfolgreich konkurrieren will.

Employer Branding Aktivitäten gelten als ein wichtiger Schlüssel, um neuere Talentquellen zu erschließen. Schließlich können Organisationen damit ihre Strategien und Taktiken verbessern, um die Aufmerksamkeit von potentiellen Mitarbeitern auf sich zu lenken, bevor sie eine Bewerbung einreichen. Allerdings besteht die Personalbeschaffung nicht nur aus dem Bewerbungsvorgang an sich, sondern umfasst viele weitere Schritte. Die wichtige Frage lautet, was passiert, nachdem ein Unternehmen einen Bewerber zur Abgabe seiner Bewerbung veranlassen konnte?

Neueste Forschungsergebnisse von Walker et al. verschaffen uns einen Einblick darin. Sie untersuchten, wie Arbeitssuchende auf die „Behandlung“ durch die Unternehmen zwischen der Abgabe einer Bewerbung und dem eigentlichen Jobangebot reagierten. Aus Perspektive der Organisation ist diese Phase besonders erfolgskritisch: Wächst das zarte Pflänzchen der Anziehung zwischen Bewerber und Institution, was dann zur Annahme des Arbeitsangebotes führt?

Wenn Bewerber auf ein Unternehmen aufmerksam werden, bewerten sie die Organisation auf Basis von offenkundigen Informationen, wie bspw. Imagevideos, Zeitungsartikeln, Broschüren etc. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Jobwechsler die Authentizität dieser Informationen in Frage stellen und ein Gefühl der Unsicherheit in Bezug auf die Organisation verspüren. Tatsächlich zeigen die Forschungsergebnisse von Walker et al., dass ein Bewerber die ihm widerfahrene Behandlung während dieser Zeitspanne als Signal für die Qualität der Beziehung in der Organisation interpretiert. „Werde ich als Mitglied dieser Organisation gute Arbeitsbeziehungen pflegen können?“, ist eine typische Frage, die sich Bewerber in dieser Phase stellen. Signale, die bspw. Gerechtigkeit, Fairness, Wertschätzung etc. ausstrahlen, erhöhen die Attraktivität der Organisation und umgekehrt. Mit anderen Worten, das nach außen gezeigte Beziehungsverhalten der Organisation dient als ein Indikator für die zukünftigen Arbeitsbeziehungen und wird zu einem wichtigen Faktor im Entscheidungsprozess von Stellensuchenden.

Man könnte annehmen, dass sich der Eindruck der Interesssenten relativ schnell auf Basis ihrer ersten Interaktionen mit dem Unternehmen herausbildet. Walker et al. waren in der Lage empirisch zu belegen, dass es nicht immer Liebe auf den ersten Blick ist. Die Wahrnehmung der Beziehungsqualität kann sich im Laufe der Zeit verändern. Sie scheint im Laufe des Rekrutierungsprozesses dynamisch und formbar zu sein. Deswegen besteht in dieser Phase für Organisationen die Herausforderung darin, das anfängliche Interesse eines Bewerbers aufrechtzuhalten und seine Sorge zu reduzieren, die mit der Unsicherheit in Bezug auf die zu erwartenden Arbeitsbeziehungen einhergeht.

Schriftliche und mündliche Interaktionen spielen dabei eine wichtige Rolle, welche Wahrnehmung ein Bewerber von einer Organisation entwickelt. Unternehmen haben die Möglichkeit, den Aufbau von positiven Beziehungen zu befördern, indem sie bspw. mit zeitlich unmittelbarer Korrespondenz auf den Bewerbungseingang reagieren. Eine gute zeitliche Koordinierung ist essentiell, Qualität ist aber mindestens genauso wichtig. Walker et al. haben herausgefunden, dass die Korrespondenz mit Bewerbern Gerechtigkeitssignale übermittelt und empfehlen, auf die Qualität jeglicher Interaktionen zwischen Organisation und Bewerber zu achten. Tatsächlich geht es dabei nicht nur um die übermittelte Information an sich, sondern auch um die Art und Weise, wie mit Bewerbern umgegangen wird.

Abb.: Rekrutierungsphasen

Was können Unternehmen tun, um sicherzustellen, dass sich die positiven Ergebnisse der Anbahnungsphase in allen nachfolgenden Phasen des Beschaffungsprozesses fortsetzen? Zunächst empfiehlt es sich, Rekrutierung als sogenannten End-to-End Prozess aus Perspektive eines Bewerbers zu betrachten. Dabei bestimmt das schwächste Prozessglied den Gesamterfolg. Zweitens könnten Anleihen von Service- und Experience-Design Techniken genommen werden, wie sie zunehmend in Unternehmen angewendet werden, um sich im Wettbewerb zu differenzieren. Beispielsweise lässt sich mit Verfahren wie der Customer Journey Technik herausfinden, wie Kontaktpunkte zwischen Unternehmen und potentiellen Käufern am besten gestaltet werden können, um das Kaufinteresse in tatsächliches Kaufverhalten münden zu lassen. Die Anwendung solcher Verfahren für die Personalbeschaffung kann wertvolle Hinweise für die Gestaltung von Karriere-Webseiten, Bewerber-Korrespondenz oder Kandidaten-Gesprächen liefern und somit helfen, aus Bewerbern neue Mitarbeiter werden zu lassen.

Quellen